Uni Wien:Einführung in die Pragmatik VO (Gruber)/Ausgearbeiteter Fragenkatalog (Pragmatik)

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Diese Prüfungsfragenausarbeitung basiert auf:

1) den beantworteten Prüfungsfragen im LiWi
2) meiner eigenen Mitschrift
3) den Folien von Helmut Gruber
4) Wikipedia
5) Schlieben-Lange (1979): Linguistische Pragmatik. Kohlhammer
6) Cruse (2006): A glossary of Semantics and Pragmatics. Edinburgh University Press


…und ist trotzdem immer noch nicht ganz richtig... der Prüfungsstoff ist eben sehr komplex. Also bitte mitdenken und mit den eigenen Unterlagen vergleichen...

WAS IST PRAGMATIK?[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

1. Was ist Pragmatik und womit beschäftigt sie sich?

Was Pragmatik ist, ist nicht klar definiert. In anderen Disziplinen geht es um Sprachkom-petenz, in der Pragmatik dagegen geht es um den Sprachgebrauch. Der Begriff ‘Pragmatik’ wurde erstmals von Charles Morris (Semiotiker) in den 1940er Jahren verwendet. Die Syntax beschäftigt sich mit Verkettungsregeln, ohne sich um ihre Bedeutung zu kümmern; die Semantik beschäftigt sich mit der Beziehung zwischen Zeichen und Objekt. Die Pragmatik beschäftigt sich mit der Beziehung zwischen Zeichen und den Verwendern dieser Zeichen bzw. den Zeicheninterpreten. Diese Definition ist sehr weit und beeinhaltet Aspekte der Psycholinguistik, Soziolinguistik, Diskursanalyse. Weitere Überlegungen zur Begriffsdefinition:

  • Pragmatik beschäftigt sich mit der Desambiguierung von Sätzen im Kontext.
  • Pragmatik ist ausschließlich mit Performanzprinzipien einer Sprache beschäftigt.
  • Untersuchung jener Beziehungen zwischen Sprache und Kontext, die grammatikalisiert bzw. in der Sprachstruktur kodiert sind (z.B. Autoritätsgefälle bei Du vs. Sie) und grund-legend für eine Erklärung des Sprachverstehens sind. [Auch in Sprachen, in denen solche Unterschiede nicht grammatikalisiert sind, kann man sie äußern.]
  • Pragmatik ist die Untersuchung jener Aspekte von Bedeutung, die nicht von einer semantischen Theorie abgedeckt werden (= wieder eine recht weite Definition).
  • Untersuchung der Fähigkeit von Sprachverwendern, Sätze mit Kontexten zu verbinden, in denen sie angemessen sind.
  • Untersuchung von Deixis, Implikatur, Präsupposition, Sprechakten, Aspekten der Gesprächsstruktur – pragmatische Prinzipien sind nicht-konventionell, sondern durch Gesprächsziele motiviert.
  • Pragmatik ist eine funktionale Perspektive auf jeden Aspekt von Sprache = ein Unter-suchungsansatz in Bezug auf Sprache, der die volle Komplexität ihres kognitiven, sozialen und kulturellen Funktionierens im Leben der Menschen berücksichtigt (= anerkannte und genaue Definition)
  • Pragmatik als Komponente einer Grammatiktheorie (modulare Konzeption)
  • Pragmatik als funktionale Theorie der Sprachverwendung, die im Gegensatz zu einer Grammatiktheorie auch kausale Erklärungen ermöglicht


2. Wie setzt sich die Sprecherbedeutung zusammen?

  • Äußerungsbedeutung = Satz + Kontext > referentielle Intention (deskriptiv: “In diesem Buch sind zuviele Eselsohren”)
  • Äußerungsbedeutung = Satz + Illokation (Intention in Bezug auf die Handlungen, die der Sprecher machen möchte) > kommunikative Intention (“Wehe Dir!”)
  • Sprecherbedeutung = Satz + Kontext + implizite Proposition (Wir wenden ständig ein Hintergrundwissen an, um Äußerungen zu verstehen; ist uns meistens gar nicht bewusst – Interpretation von Intonation, Mimik/Gestik, Einstellung; “Soll ich etwas einkaufen?” – “Wir werden am Wochenende kaum zuhause sein.”)
  • Sprecherbedeutung = Satz + Kontext + implizite Proposition + Einstellungen dazu (Einstellung: z.B. Ironie, Freude; “Na großartig!”)


3. Wie hängen Semantik und Pragmatik zusammen?

Semantik und Pragmatik gehen ineinander über, wobei Pragmatik viel weiter gefasst ist. Semantik beschäftigt sich mit theoretischen Bedeutungen und bewegt sich eher im Abstraken, während die Pragmatik sich mit konkreten Äußerungen in konkreten Kontexten beschäftigt. Pragmatik entspricht ‘Semantik in konkreter Situation’ (anderer Blickwinkel auf Sprache).

Die Pragmatik ist im Gegensatz zur Semantik nicht regelgeleitet (grammatikalisch), sondern prinzipienkontrolliert (rhetorisch), d.h. es gibt keine fixen Regeln, aber Prinzipien, die die Kommunikation bestimmen – die pragmatischen Prinzipien sind durch Gesprächsziele motiviert.

Die Relevanztheorie besagt, dass semantische Eigenschaften von Sätzen eine Blaupause (= einen Bauplan) für Propositionen, Eigenschaften der Blaupause sowie den Prozess der Erstellung dieser Blaupause festlegen. Die Pragmatik zeigt, wie Hörer aus der Blaupause aufgrund des konzeptuellen Wissens eine komplette Proposition (bzw. einen Satz von Propositionen) erstellt.


Einige Definitionen:

Proposition = die Bedeutung oder der Inhalt eines sinnvollen Satzes; eine Proposition besteht aus einem argument (eine Einheit, über die irgendetwas gesagt wird) und aus einem predicate (was über die Einheit gesagt wird), z.B. “Die Frau ist groß” – “Frau” ist das argument, “(ist) groß” ist das predicate. Propositionen sind entweder wahr oder falsch. Diesselbe Proposition kann man mit verschiedenen sprachlichen Mitteln ausdrücken.

Illokution = Der illokutionäre Akt besteht darin, dass man eine Handlung vollzieht, indem man etwas sagt (im Unterschied zu dem Akt, dass man etwas sagt) – “doing something in saying something” (Austin)

Perlokution = Im Gegensatz zu Illokutionen, die das Ergebnis einer Sprachhandlung sind und damit zeitlich mit deren Vollzug zusammenfallen, sind Perlokutionen Folgen einer Sprachhandlung, die sich an den Vollzug anschließen. Üblicherweise wird in der Sprechakttheorie davon geredet, dass man illokutionäre Akte vollzieht und perlokutionäre Effekte erzielt, dadurch dass man sich äußert (z.B. Weinen, Topf von der Herdplatte nehmen).

Implikatur = Bei einer Implikatur einer sprachlichen Äußerung handelt es sich um einen Bedeutungsaspekt, der durch die Äußerung zwar kommuniziert, aber vom Sprecher nur angedeutet wird (anstatt gesagt). Anders formuliert: die Implikatur macht es einem Sprecher möglich, mehr zu kommunizieren als er eigentlich sagt.


PRÄSUPPOSITIONEN[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

4. Welche Eigenschaften haben Präsuppositionen

Eine Präsupposition ist eine Proposition, deren Richtigkeit vom Sprecher angenommen wird und die vom Hörer erkannt und in die Interpretation der Äußerung miteinbezogen werden muss.

Einige Präsuppositionstrigger:

  • Eigennamen
  • nicht restriktive Relativsätze
  • Verbsemantik
  • Temporalsätze

Eine Präsupposition ist eine Voraussetzung, die der Sprecher in der Konversation macht. Sie kann durch präsuppositionelle Elemente explizit gemacht werden. Präsuppositionen haben folgende Eigenschaften:

  • Sie bleiben unter Negation konstant.
Der Hund ist faul. >> Es gibt einen Hund.
Der Hund ist nicht faul. >> Es gibt einen Hund.
  • Sie können durch bestimmte sprachliche Strukturen getriggert (ausgelöst) werden.
Ich sehe den Hund (nicht). >> Es gibt einen Hund
Ben bedauert (nicht), das Bier getrunken zu haben. >> Ben hat das Bier getrunken.
  • In bestimmten Kontexten können sie ‘verschwinden’.
  • In komplexen Sätzen bleiben sie nicht immer erhalten.
Ben schaffte es nicht, die Prüfung zu bestehen, ja er probierte es nicht einmal. >> darf nur im Hauptsatz negiert werden, um eine Präsupposition zu testen, da der Nebensatz meistens selber die Präsupposition des Hauptsatzes darstellt.
  • Sie sind annullierbar, wenn sie explizit verneint werden.
Peter hat nie mit dem Rauchen aufgehört, weil er nie damit angefangen hat!
  • Manchmal schließt aber das allgemeine Hintergrundwissen oder der Diskurskontext die Präsupposition aus.
Ben weinte, bevor er die Dissertation fertig stellte. >> Er stellte sie fertig.

Aber:

Ben starb, bevor er die Dissertation fertig stellte. >> Ben stellte die Dissertation nicht fertig.


5. Was versteht man unter einem „Präsuppositionstrigger“?

Präsuppositionen können durch bestimmte sprachliche Strukturen ausgelöst werden, und zwar durch:

  • definite Beschreibungen:
Ben sah den Hund (nicht). >> es gibt einen Hund.
  • faktive Verben:
Ben bedauert (nicht), das Bier getrunken zu haben. >> er hat das Bier getrunken.
  • implikative Verben:
Hans gelang es (nicht), die Tür zu öffnen. >> Hans versuchte, die Tür zu öffnen.
  • Zustandsveränderungsverben:
Ben hörte (nicht) auf, seine Frau zu schlagen. >> Ben hat seine Frau ges-chlagen.
  • Cleft-Konstruktionen:
Es war (nicht) Elisabeth, die Peter küsste. >> Jemand küsste Peter.
  • Implizite Cleft-Konstruktionen, die durch Betonung realisiert werden:
Ben nahm an der “Olympiade” teil. >> Ben hat an etwas (einem sportlichen Bewerb) teilgenommen.
  • Temporalsätze:
Während Chomsky die Generative Grammatik entwickelte, waren die Strukturalisten (nicht) wie gelähmt. >> Chomsky entwickelte die Generative Grammatik
  • Verben der Beurteilung:
Maria warf Pater (nicht) Plagiarismus vor. >> Maria denkt, dass Plagiaris-mus schlecht ist.
  • Iterative:
Die fliegenden Untertassen kamen (nicht) wieder. >> Die fliegenden Unter-tassen sind vorher schon einmal gekommen.
  • Vergleiche und Kontraste:
Maria nannte Peter einen Schwächling und dann beschimpfte er sie. >> Jemanden einen Schwächling zu nennen, ist (zumindest für Maria und Peter) eine Beleidigung.
  • nichtrestriktive Relativsätze:
Mein Professor, der 1984 den Mount Everest bestiegen hat, ist kein guter Linguist. >> Mein Professor hat 1984 den Mount Everest bestiegen.
  • kontrafaktische Konditionalsätze:
Wenn Hannibal nur 12 Elefanten mehr gehabt hätte, würden die romanischen Sprachen heute nicht existieren. > Hannibal fehlten 12 Elefan-ten.


6. Warum werden Präsuppositionen im Rahmen der Pragmatik und nicht der Semantik behandelt?

Die Semantik untersucht wörtliche, kontextunabhängige Bedeutungen von Wörtern und Sätzen – Präsuppositionen sind aber kontextabhängig und fallen deswegen in den Bereich der Pragmatik.


7. Was unterscheidet Präsuppositionen und Implikationen?

Im Unterschied zur logischen Implikation ist die Präsupposition unter interner Negation konstant, das heißt eine Aussage hat dieselben Präsuppositionen wie ihre interne Verneinung.

SPRECHEN UND HANDELN – DIE SPRECHAKTTHEORIE[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Nach der Sprechakttheorie werden im Zuge sprachlicher Äußerungen (Reden) nicht nur Sachverhalte beschrieben und Behauptungen aufgestellt, sondern selber Handlungen (Akte) vollzogen. Die Sprechakttheorie untersucht das Wesen sprachlicher Handlungen, ihre Klassifikation und Implikationen. Zu den wichtigsten Vertretern zählen John Austin und John Searle.


8. Aus welchen Teilakten besteht ein Sprechakt bei Austin?

  • Lokutionärer Akt: besteht aus drei Teilaktivtitäten: das Hervorbringen sprachlicher Laute und Lautketten; das Hervorbringen von Äußerungen, die nach den Regeln der Grammatik gebildet sind; das Hervorbringen von Äußerungen, die einen sinnvollen Bezug zu Gegenständen und Ereignissen als auch Bedeutung haben > “die Handlung, etwas zu sagen”
  • Illokutionärer Akt: Durchführung einer Handlung durch die konventionelle Kraft (force), die mit diesem Satz verbunden ist; der Vollzug einer konventionellen Sprechhandlung (Bitte, Frage, Warnung,…)
  • Perlokutionärer Akt: das Erzielen einer Wirkung bzw. eines Effekts beim Hörer (Weinen, Bremsen, usw.)

9. Welche Sprechaktklassen werden nach Searle unterschieden?

Während Austin die Unterteilung eines Sprechaktes in drei Teilakte vornimmt, unterscheidet Searle vier solcher Teilakte:

  • Äußerungsakt (Hervorbringen von Äußerungen nach den Regeln der Phonologie und Grammatik einer Sprache)
  • Propositionaler Akt (Erstellen einer Proposition)
  • Illokutionärer Akt (wie bei Austin)
  • Perlokutionärer Akt (wie bei Austin)

Searle erstellt folgende Klassifikation von Sprechakten:

  • Repräsentative: verpflichten Sprecher auf Wahrheit der Proposition

(behaupten, feststellen, andeuten, eine Hypothese aufstellen, prophezeien)

  • Direktive: verpflichten Hörer zu zukünftiger Handlung oder zu deren Unterlassung

(auffordern, befehlen, anordnen, bitten, einladen)

  • Komissive: verpflichten Sprecher zu zukünftiger Handlung (versprechen, geloben,

drohen, vereinbaren, anbieten)

  • Expressive: drücken Gefühlslage aus (danken, gratulieren, entschuldigen,

willkommen heißen, kondolieren)

  • Deklarative: führen Veränderungen von institutiuonellen Zuständen herbei (taufen,

heiraten, Krieg erklären, zurücktreten)

10. Welche Sprachklassen werden im Gegensatz zu Searle nach Habermas unterschieden und welche Kriterien verwendet er?

  • Imperative: Beeinflussung des Gegenspielers. Geltungsanspruch: Wirksamkeit
Schließ das Fenster! – Nein. (in diesem Fall erfolglos)
  • Konstative: Darstellung von Sachverhalten. Geltungsanspruch: Wahrheit
Die Tafel ist rot. – Nein. (in diesem Fall inhaltlich falsch)
  • Regulative: Herstellung einer interpersönlichen Beziehung. Geltungsanspruch: Richtigkeit
Ich verspreche Dir, mich zu bessern! – Nein. (missglückt)
  • Expressive: Selbstrepräsentation. Geltungsanspruch: Wahrhaftigkeit
Ich habe Angst! – Nein, hast Du nicht! (Hörer glaubt Sprecher nicht; d.h. er hält den Sprechakt nicht für “wahrhaftig”)


11. Was sind in der Sprechakttheorie "Geglücktsheitsbedingungen"? Welche nimmt Austin an und welche fügte Searle dazu?

Konstantive stellen etwas fest, das entweder “wahr” oder “falsch” sein kann. Performative hingegen haben keinen Wahrheitsgehalt, weil sie eine Handlung durchführen (Austin). Diese Handlungsdurchführung passiert durch Konvention. Performative können deswegen nicht sinnvoll wahr oder falsch sein, sondern sie können nur gelingen (“geglückt”) oder nicht gelingen (“misslungen”). Damit ein Performativ gelingt, gibt es “Geglücktheitsbedingungen”. Überbegriff für Performative und Konstantive = Sprechakte. (Es gibt auch Konstative, die in performativer Form auftreten und die gegen Geglücktheitsbedingungen verstoßen, z.B. “Alle Kinder von Hans sind Priester” > Hans hat aber keine Kinder; “Frankreich ist sechseckig” > kann in bestimmten Kontexten richtig sein.) Der Schwerpunkt der Sprechaktheoretiker liegt auf illokutionären Akten, während die perluktionären Akte völlig in den Hintergrund traten. Die Sprechakttheorie wurde nach Austin hauptsächlich von Searle weiterentwickelt.


Ein expliziter Performativ drückt jede Illokution direkt und konventionell aus. Im Idealfall wird ein Verb in der 1.P.Sg.Ind.Präs.akt. verwendet und eventuell mit “hiermit” ergänzt. Das Verb bezeichnet dabei schon den ausgeführten Sprechakt (limitierte Anzahl an Verben, z.B. versprechen, befehlen, anordnen). Der Satz muss vollständig sein.


Klassifikation von Geglücktheitsbedingungen:

  • propositionale Bedingung: schränken Inhalt des Sprechtaktes ein
  • vorbereitende Bedingungen (preparatory conditions); Umweltbedingungen vor dem

Ausführen des Spechakts

  • Aufrichtigkeitsbedingungen (sincerity conditions): Glauben, Gedanken, Gefühle der

Sprecher

  • die essentielle Bedingung (essential condition): führt Illokution aus

Searle fügte die essential condition hinzu (konstitutive Regel):

  • formelhaft (konventionelle Prozedur und Effekt) – Rollen erfüllen = sincerity conditions
  • korrekte Prozedur

Das Äußern von IFID x gilt als Durchführung von y essential condition. (IFID = illocutioning force indivating device) Regeltyp, die IFID mit illokutionären Akten verbindet: “konstitutive Regel” (s. Frage weiter unten)


a) Versprechen: A verspricht mit U, morgen zu kommen. - A (vorbereitende Bedingungen): A sagt, dass er eine Handlung y in der Zukunft ausfüh-ren wird (er hat es vor zu tun; er glaubt, dass er es tun kann; er glaubt, dass er es unter normalen Umständen nicht tun würde; er glaubt, dass der Hörer will, dass er es tut; er will sich selbst eine Verpflichtung durch Äußern von U auferlegen.) - B (aufrichtige Bedingungen): Sprecher und Hörer verstehen U – beide sind zurech-nungsfähig, beide handeln unter normalen Umständen C- (essentielle Bedingungen): U enthält ein IFID x, der unter den richtigen Bedingungen geäußert werden kann. = diese Bedingungen konstituieren den Sprechakt “Versprechen” = gelten für alle illokutionären Akte


b) Auffordern: B fordert mit U A auf, morgen zu kommen. - A (vorbereitende Bedingungen): B sagt, dass A eine Handlung y in der Zukunft ausfüh-ren soll; B möchte, dass A U tut; B glaubt, dass A es tun kann; B glaubt, dass A es unter normalen Umständen nicht tun würde; B glaubt, dass A will, dass er es tut; B will sich selbst eine Verpflichtung durch Äußern von U auferlegen. B –(aufrichtige Bedingungen): Sprecher und Hörer verstehen U – beide sind zurechnungs-fähig, beide handeln unter normalen Umständen C – (essentielle Bedingung): U enthält ein IFID x, der unter den richtigen Bedingungen geäußert werden kann.


12. Warum hat die SpAT zentrale Bedeutung für die linguistische Pragmatik?

In der Pragmatik geht es nicht nur um sprachliche Äußerungen, sondern auch um Handlungen. Es wird angenommen, dass Akte wie Taufen, Versprechen, Beleidigungen, Befehle ähnliche Handlungen sind wie z.B. Kochen. Die Sprechakttheorie entstand deswegen, weil in der semantischen Theorie Sätzen nur dann Bedeutung zugestanden wird, wenn sie wahr oder falsch sind. In der Pragmatik geht es hingegen darum, ob die Handlung geglückt ist oder nicht. (= war ein Anstoß für weitere Forschung und Theorienbildung?)

Die Geglücktheitsbedingungen sind (siehe Frage 10):

  • propositionale Bedingung
  • vorbereitenden Bedingungen
  • aufrichtige Bedigungen
  • essentielle Bedingung

13. Warum hat Searle die „essentiellen Bedingungen“ bei den Geglücktsheitsbedingungen hinzugefügt?

Searle fügte die “essentiellen Bedingungen” hinzu. Warum? (Darauf konnte ich nirgendwo eine Antwort finden!)

  • konstitutive Regeln: konstituieren neue Verhaltensweisen; wenn man keine Regeln kennt, kann man auch nicht mitspielen, z.B. beim Schach > die Regeln beruhen auf Konventionen und sind arbiträr; Abweichungen von der Regel werden als Fehler bewertet (“eine Sprache zu sprechen bedeutet, Sprechakte in Übereinstimmung mit Systemen konstitutiver Regeln zu vollziehen.”).
  • regulative Regeln: regulieren schon bestehende Handlungsweisen (z.B. Verkehrsregeln). Sind deskriptiv; Abweichungen werden auf Basis der Regeln interpretiert; sind in vielen Fällen funktional erklärbar (die Regeln sind aus bestimmten Gründen sinnvoll). Wer mitmachen will, muss die Regeln befolgen


Searle versucht sehr stark, die Sprechakttheorie auf die selbe Ebene zu stellen wie die Zeichentheorie in der Linguistik (- parallele Theorie)


14. Was sind explizite Performative und was besagt die LFH nach Gazdar?

LFH = “literal force hypothesis” (Gazdar 1981) Die LFH besagt, dass explizite Performative jene Kraft haben, die durch die performativen Verben im Matrixsatz ausgedrückt werden. Die drei wichtigsten Satztypen haben jene Kraft, die traditionell mit ihnen verbunden wird:

  • Imperativ (Befehle)
  • Interrogativ (Fragen)
  • Deklarativ (Feststelllungen)

(?)


15. Was ist ein indirekter Sprechakt und welche Erklärungsansätze gibt es dafür in den unterschiedlichen Theorien?

“Würde es dir etwas ausmachen, die Türe zu schließen?” – “Hast du die Tür vergessen?” – “Mach uns doch einen Gefallen mit der Tür” – “Wie wäre es mit weniger Zugluft?” usw.


Das illokutionäre Ziel eines indirekten Sprechaktes ist nicht aus der Proposition erkennbar: Form und Funktion entsprechen einander nicht, z.B. wenn die Äußerung “Die Tür ist offen” als Aufforderung statt als Feststellung verstanden wird.


Probleme dabei:

  • Illokution und Form des Sprechakts fallen nicht zusammen
  • Die syntaktischen Eigenschaften, die mit ihrer Illokution zusammenfallen (es kann sich z.B. syntaktisch um eine Frage handeln, ist aber als Aufforderung gemeint)


Lösungsversuche:

  • Idiomtheorie: Indirekte Sprechakte sind nur idiomatische Realisierungen ihres zugrun-deliegenden Sprechaktes (die Theorie löst das Problem aber nicht, weil Sprechakte mit zwei Idiomen nicht vorgesehen sind – und sie ist ineffizient)
  • Inferenztheorie: nimmt an, dass der indirekte Sprechakt die illokutionäre Kraft des Sprechaktes besitzt – die wörtliche Bedeutung und die wörtliche Illokution einer Äußerung wird von allen Gesprächsteilnehmern konstruiert. Es gibt Inferenztrigger, die indirekte Sprechakte anzeigen; es gibt Inferenzprinzipien: im gegebenen Kontext und bei gegebener Äußerung produzieren sie Inferenz. Es gibt pragmatisch sensitive linguistische Regeln, die die linguistischen Eigenschaften von direkten und indirekten Sprechakten steuern.


BEDEUTUNG ALS INTENTION – DIE GRICE’SCHE PRAGMATIK[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

16. Worauf basiert Grice’s Theorie der Kommunikation?

Auf dem Kooperationsprinzip: “Gestalte deinen Gesprächsbeitrag so, dass er dem anerkannten Zweck dient, den du gerade zusammen mit deinen Kommunikationspartnern verfolgst.” Grice’s Ausgangspunkt: Kommunikation ist Handlung – eine Äußerung enthält (fast immer) mehr, als was nur gesagt wird

Und auf den Konversationsmaximen:

  • 1. Maxime der Quantität: “Mache deinen Gesprächsbeitrag so informativ, wie es für den anerkannten Zweck des Gespräches nötig ist.” (nicht informativer als nötig)
  • 2. Maxime der Qualität: “Versuche einen Gesprächsbeitrag zu liefern, der wahr ist.” (nichts sagen, was falsch sein könnte)
  • 3. Maxime der Relevanz: “Sage nur Relevantes.”
  • 4. Maxime der Modalität: “Vermeide Unklarheit, Mehrdeutigkeit, Weitschweifigkeit, Ungeordnetheit.”


17. Anhand welcher Kriterien wird zwischen natürlicher und nicht natürlicher Bedeutung von Grice unterschieden?

Zwei Beispielsätze:

“Diese Flecken bedeuten Masern.”
“Das Läuten im Bus bedeutet, dass er voll ist.”
  • Annulierbarkeitskriterium:

(x lässt auf p schließen)

natürlich: Der Patient kann uns nicht täuschen (das Kind kann keine Flecken selbst entwickeln, nur weil es das will – die Flecken bedeuten immer etwas, auch wenn die Ärztin in der Diagnose irrt)
nicht natürlich: Der Fahrer könnte sich geirrt haben.
  • Kommunikationsinhaltskriterium:

(Die Bedeutung von x lässt darauf schließen, was mit x gemeint ist)

nicht natürlich: Die Krankheit hat keine Intention, uns irgendetwas mitzuteilen
natürlich: der Fahrer kommuniziert
  • Kommunikationsvollzugskriterium:

(Die Bedeutung von x lässt darauf schließen, dass irgendjemand mit x etwas Bestimmtes gemeint hat)

nicht natürlich: Das kranke Kind kann sich nicht willentlich mit Flecken mitteilen.
natürlich: Fahrer teilt Fahrgästen mit, dass der Bus voll ist
  • Zitationskriterium:

(Die Bildung von Paraphrasen ist möglich)

nicht natürlich: Diese Flecken bedeuten “Masern” ist nicht zitierbar
natürlich: “der Bus ist voll” ist zitierbar
  • Faktizitätskriterium:

(unauflösbare Verbidnung zwischen x und p)

natürlich: Krankheit ist eine Tatsache, hat ursächlichen Zusammenhang
nicht natürlich: keine Tatsache, Fahrer hat Intention

> gibt es nur nicht-natürliche und natürliche Bedeutungen, oder gibt es dabei auch Zwischenstufen?

18. Wodurch charakterisiert sich die intentionale Bedeutungserklärung?

“S meinte etwas mit dem Äußern von x” ist genau dann wahr, wenn in Bezug auf einen Hörer H gilt: S äußerte x mit der Absicht, dass

  • H eine bestimmte Reaktion zeigt
  • H erkennt, dass S diese Reaktion beabsichtigt (Wirkungsabsicht)
  • Hs Erkennen der Absicht von S zumindest teilweise als Grund fungieren soll, r zu tun (Absichtserkennungsabsicht)

Grice untersucht das kommunikative Handeln, mit dem S ein bestimmtes Ziel verfolgt (keine virtuellen Bedeutungen); dieses Ziel wird vom Sprecher auf eine ganz bestimmte Art und Weise zu erreichen versucht (nämlich durch die Äußerung von x, die “Wir-kungsabsicht”); nur die primäre Sprecherintention soll erkannt werden, alle darüber hinausreichenden Folgen liegen nicht im Einflussbereich des Sprechers. Das Eintreten der von dem Sprecher beabsichtigten Wirkung unterliegt der Kontrolle des Hörers: nur wenn er entscheiden kann, ob x ein ausreichender Grund für ihn ist, r zu tun, kann man von nicht-natürlicher Bedeutung sprechen. Hat der Hörer keine Entscheidungsmöglichkeit, handelt es sich um natürliche Bedeutung.

19. Auf welchen zwei Fundamenten basiert die Theorie der Implikaturen? Was sind die Voraussetzungen für eine Implikatur?

Das Modell der Implikaturen dient dazu, zu verstehen, warum jenseits des semantischen Gehalts einer Aussage immer Zusatzinformationen mitschwingen (eine semantische Theorie reicht dazu nicht aus). Es basiert auf dem Kooperationsprinzip und den Konversationsmaximen:


  • Kooperationsprinzip: “Gestalte Deinen Gesprächsbeitrag so, dass er dem anerkannten Zweck dient, den du gerade zusammen mit deinen Kommunikationspartnern verfolgst.”


  • Konversationsmaximen:
Quantität (“Gestalte deinen Beitrag so informatv wie nötig – und nicht mehr”)
Qualität (“Versuch deinen Beitrag so zu machen, dass er wahr ist”)
Relevanz (“sei relevant”)
Modalität (“sei klar – vermeide Mehrdeutigkeiten, Unklarheiten usw.)

= keine Gebrauchsanweisung für gelungene Kommunikation, sondern “Hintergrundprogramm”, das während der Kommunikation abläuft

  • Maximenverstöße:
Irreführung (stille und undemonstrative Verletzung)
Aussteigen (expliziter Hinweis auf Nichterfüllung einer Maxime)
Maximenkollision
Flagrante Nichterfüllung einer Maxime.
  • Voraussetzungen der Implikatur:

Jemand (S) sagt p und meint (impliziert), dass q, kann nur unter den folgenden Voraussetzungen angenommen werden, wenn:

von S anzunehmen ist, dass er die Konversationsmaximen oder zumindest das Kooperationsprinzip beachtet
man annimmt, dass sich S bewusst ist oder glaubt, dass q nötig ist, damit er p mit den Konversationsmaximen und/oder dem Kooperationsprinzip übereinstimmt.
S glaubt, dass H in der Lage ist zu verstehen, dass sich S bewusst ist, dass q nötig ist, um p mit den Konversationsmaximen und/oder dem Kooperationsprinzip übereinzustim-men.
  • Eigenschaften von Implikaturen:
Annulierbarkeit (“Karin mag Werner” impliziert “Karin liebt Werner nicht”, aber: “Karin mag Werner, ja sie liebt ihn richtig.”)
Nichtabtrennbarkeit (der iron. Gebrauch von “na, großartig!” kann man z.B. mit “na, super!” ersetzen)
Nichtkonventionalität (Implikaturen gehören nicht zur konventionellen Bedeutung der Ausdrücke, an die sie gebunden sind)
Verbalisiertheit des Gesagten (das Gesagte kann wahr sein, das Implizierte dagegen falsch)
Unbestimmtheit (eine Äußerung kann verschiedene oder unbestimmt viele Implikaturen haben)

20. Welche Arten von Implikaturen kann man unterscheiden? Erläutern Sie den Unterschied anhand von einigen Beispielen. Welche Art von Implikatur nach Grice bei Befolgung von Konversationsmaximen, welche bei Verstoß?

(nach Rolf 1997, Levinson 1983; die Implikaturen bilden jeweils ein gegensätzliches Paar.)

  1. konventielle Implikaturen:

bestimmte lexikalische Ausdrücke, die zusätzlich pragmatische Bedeutung haben. Z.B. “und” impliziert in bestimmten Konexten eine zeitliche Abfolge; “gnädige Frau” impliziert soziale Beziehung. “Peter ist arm, aber ehrlich.”

  1. nichtkonventionelle Implikaturen:

nicht von Grice diskutiert (?)

  1. nichtkonversationelle Implikaturen:

beruhen nicht auf Konversationsmaxime, sondern auf anderen Kommunikationsprinzipien (z.B. Höflichkeitsprinzipien)

  1. konversationelle Implikaturen:

beruhen auf Konversationsmaximen - Implikaturen sind annulierbar (sie können vom S zurückgenommen werden: “Ich habe Herrn Schmidt mit einer Frau gesehen, ich glaube, es war seine.”) - Implikaturen sind nicht abtrennbar (man kann einen anderen Ausdruck, der nahezu dasselbe sagt, verwenden, und die Implikatur entsteht trotzdem) > kann durch Be-folgung/Verstoß der Maxime auftreten. - Implikaturen sind bekräftigbar, ohne dass dies redundant wirkt

  1. partikularisierte Implikaturen:

kontextunabhängig, treten unabhängig von äußerer Situation auf (z.B. “Ich habe drei Kinder” – nicht mehr als drei Kinder) ??? Erfordern einen bestimmten Kontext, in dem sie kalkulierbar sind.

  1. generalisierte Implikaturen:

Es gibt hier verschiedene Implikaturen: - Implikaturen, die sich auf die Maxime der Qualität beziehen (“Peter hat zwei Doktortitel” > Ich glaube, dass… und habe Beweise dafür) - Implikaturen, die sich auf die Maxime der Quantität beziehen (“Hans hat vierzehn Kinder” > Hans hat nur vierzehn Kinder.) - Implikaturen, die sich auf die Maxime der Relevanz beziehen (“Gib mir das Salz.” > gib mir jetzt das Salz) - Implikaturen, die sich auf die Maxime der Art erklären (“Der Reiter ritt davon und sprang auf das Pferd.” > ?? Reihenfolge) - Existenzimplikaturen (Präsuppositionen) (“Wer hat das Zimmer verwüstet?” > Jemand hat das Zimmer verwüstet.)

  1. skalare Implikaturen:

Bei skalaren Implikaturen gibt es einseitige und zweiseitige Lesarten: “Paula hat zwei Kinder” – einseitig: “mindestens zwei”; zweiseitig: “genau zwei” Die skalare Implikatur liefert uns eine Standardangabe, deren Widerlegung viele Zusatzin-formationen erfordert. Implikatur

Behauptung eines Wertes Behauptung eines niedrigen Wertes Höherer Wert falsch oder unbekannt Verneinung eines Wertes Verneinung eines höheren Wertes Niedrigerer Wert wahr oder unbekannt Behauptung des Nichtwissens bez. eines höheren Wertes Niedrigerer Wert ist wahr oder unbekannt bez. eines niedrigeren Wertes Höherer Wert ist wahr oder unbekannt


  1. klausale Implikaturen:

- klausale: zwischen Satzgefügen, in denen bestimmte skalenartige Worte auftreten (glauben, wissen, vermuten), operieren nur auf anderer syntaktischer Ebene (?) “ich glaube” entspricht nicht “ich weiß” “ich weiß” entspricht schon eher “ich glaube”

Grice behauptet nie, dass kognitive Universalien eine Rolle spielen. Das wird später auch kritisiert, und zwar von der Relevanztheorie:


KOGNITIVE PRAGMATIK – DIE RELEVANZTHEORIE[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

21. Was ist die Relevanztheorie?

Die Relevanztheorie ist ein kognitiv-pragmatischer Ansatz von Sperber/Wilson, der Relevanz als größtmögliche Informativität bei kleinstmöglichen Verarbeitungsaufwand definiert. Suche nach einer Theorie der Kognition und Kommunikation. Die Äußerung ist maximal relevant, wenn die größtmögliche Information bei kleinstmöglichem Verarbeitungsaufwand transportiert wird.

Sperber/Wilson definieren das Konzept der Relevanz genauer:

  1. Relevanz ist eine Eigenschaft von Inputs in das kognitive System; diese Inputs sind perzeptueller (Wahrnehmung) oder konzeptueller (sprachähnlicher) Art.

Die Relevanz ist aber kein absoluter Begriff, sondern eine Größe, die mit anderen Größen in einem Kontext verglichen werden muss (- komparatives Konzept) Der Grad der Relevanz hängt von zwei Größen ab: - von kognitiven Konsequenzen, die ein Input für das System hat. Die Relevanz ist umso größer, je zahlreicher oder teifgreifender die Konsequenzen sind. - dem Grad des prozessualen Aufwands, der nötig ist, um diese Konsequenzen ausge-hend vom Input abzuleiten. Die Relevanz ist umso niedriger, je größer der Aufwand ist.

  1. Sie formulieren das Relevanzprinzip der Kommunikation > Hypothese, wie die Prozedur des Gewinnens einer Interpretation im Kern abläuft – Prüfung der Interpretationshypothe-sen in der Reihenfolge ihrer Zugänglichkeit (Desambiguierungen, Referenzzuweisungen, Implikaturen etc.) – Prüfung der Hypothesen so lange, bis eine Hypothese gefunden ist, die die Erwartung der Relevanz erfüllt, dann Beendigung des Prüfvorganges.

Das Prinzip dieser kognitiven Operation folgt im Kern einem Ökonomie-Prinzip: Es befolgt eine Maxime des größten Nutzens bei geringstem Aufwand. Sprecher versuchen, eine optimale Relevanz (“Niveau der optimalen Relevanz”) in allen Äußerungen zu beachten – gegen dieses Relevanzprinzip kann man nicht verstoßen, da es in das kognitive System eingebaut ist - “Weg des geringsten Aufwandes” bei jeder Äußerung - Aufhören, sobald die Relevanzerwartungen befriedigt sind

Das Relevanzprinzip erklärt, wie linguistisches Wissen und Weltwissen im Rahmen einer kognitiven Theorie zusammen wirken. Die Relevanztheorie verfolgt einen modularen Ansatz, in dem Sprache als ein Modul gesehen wird, das mit anderen kognitiven Modulen interagiert – eine Äußerung kann grammatisch sein, aber nicht akzeptabel, bzw. eine Äußerung kann ungrammatisch sein, aber kommunikativ wirksam. Die Relevanztheorie unterscheidet zwischen Gedanken und sprachlicher Äußerung.

22. Worauf basiert in der Relevanztheorie die Sprecherbedeutung?

Die Sprecherbedeutung steht im Zentrum der Relevanztheorie: Was meint ein bestimmter Sprecher in einer bestimmten Situation mit einer bestimmten Äußerung? Die Relevanttheorie will erklären, wie Sprecherbedeutungen zum Hörer fließen. Die Sprecherbedeutung basiert auf: - Set von Propositionen (wird in einer Äußerung nie vollständig ausgedrückt, sondern direkt und indirekt; können durch Inferenzen erschlossen werden) - Inferenz (logischer Prozess, mit dem ein Hörer die Bedeutung ableitet) - Propositionen sind auch Objekte von Einstellungen. Die Entscheidung, welche explizit und welche implizit vermittelt werden, hängt von sozio-kulturellen Faktoren, kommu-nikativen und psychologischen Faktoren ab. - Propositionen werden durch Welt- und Hintergrundwissen und/oder durch spezielles Wissen über die gerade agierenden Personen erschlossen In der Relevanztheorie wird ein systematisches Set von Prinzipien entwickelt. Die zentrale Frage ist dabei, wie die Sprache im Stande ist, Bedeutungssystem richtig zu interpre-tieren.

23. Worauf basiert Verstehen und Schlussfolgern?

Jede Interpretation hat die Form einer logischen Argumentation. In jedem Fall verwenden Hörer Kontextinformationen. Die Schlüsse beruhen darauf, dass Hörer annehmen, dass Sprecher bestimmten kommunikativen Standards entsprechen wollen.

Verstehensprozedur: - Explikatur: “semantische Anreicherung” einer Äußerung (ohne kontextuelle Annahmen) - Implikatur: Interpretation der Äußerung (Einbeziehung des Kontexts) - Hypothese über den Inhalt einer Äußerung erstellen (durch Dekodieren, Desambiguieren, Referenzzuweisungen…) - Hypothese über intendierte kontextuelle Annahmen, die der Äußerung zugrunde liegen, erstellen - Hypothese über die intendierten kontextuellen Schlüsse, die die Äußerung vermitteln will, erstellen

> diese Prozesse laufen parallel vor einem Hintergrund von Erwartungen ab, der während der Äußerungsverarbeitung elaboriert oder geändert werden kann

24. Was bedeutet in der Relevanztheorie Explikatur und Implikatur?

Achtung: Die Explikatur der Relevanztheorie entspricht nicht der Explikatur der Grice’schen Pragmatik!

  1. Explikatur:

“semantische Anreicherung” einer Äußerung, die keine kontextuellen Annahmen in-volvieren. Eine Annahme, die durch eine Äußerung U vermittelt wird, ist explizit, wenn sie eine Entwicklung einer logischen Form ist, die von der Äußerung U verschlüsselt ist. (Schlüsse aus dem semantischen Weltwissen ziehen)

Beispiel: A: Hast du einen schönen Urlaub gehabt? B: Die Strände waren überfüllt und das Hotel voller Wanzen. = Die Strände waren voller Menschen (und nicht Pinguinen) und das Hotel voller Ungez-iefer (= nicht Abhöranlagen) > nicht zutreffende Interpretationen werden ausgeschlossen = Mein Urlaub war nicht schön.

  1. Implikatur:

Interpretation der Äußerung ergibt sich nicht nur aus der Äußerungsform, sondern auch durch das Einschalten kontextueller Annahmen. Implikaturen können stärker und schwächer bestimmt werden. Im Falle der Implikaturen werden kontextuelle Annahmen zwischengeschaltet, um zu einer semantisch angereicherten Äußerungsinterpretation zu gelangen. Implikaturen beziehen sich auf Präsuppositionen und Konsequenzen des Gesagten (wie bei indirekten Sprechakten), sie beziehen sich auf Präsupposition und Konsequenzen des Gesagten. (diese Schlüsse sind optional und müssen nicht durchgeführt werden – nur wenn die Explikaturen keine maximal relevanten Äußerungen ergeben)

Beispiel: A: Magst du diese Musik? B: Ich hab atonale Musik noch nie gemocht. > implizierter Schluss: B mag diese Musik nicht. > implizierte Annahme: Die Musik, die wir hören, ist atonal. > kontextuelle Annahme: Dass die Musik atonal ist, wird im Zug der Interpretation von Bs Antwort erschlossen (der Prozess des Verstehens läuft meistens automatisiert ab)

25. Mit welchem Ansatz der Relevanztheorie lässt sich „Überinterpretieren“ verhindern?

Die Grammatik hilft dabei, die Interpretationsmöglichkeiten von Äußerungen (auf der Basis der semantischen und syntaktischen Repräsentation von Sätzen) einzuschränken. Wenn Explikaturen allein bereits reichen, um eine Äußerung zu verstehen, muss das Kontextwissen nicht aktiviert werden.

26. Was ist in der Relevanztheorie das „Niveau optimaler Relevanz“?

= der minimale Verarbeitunsgaufwand, der nötig ist, um einen maximalen kontextuellen Effekt zu erreichen.

27. Was ist alles Kontext? Was besagt die Annahme des wechselseitigen Wissens?

  1. Kontext:

unmittelbar vorhergegangener sprachlicher Kontext, unmittelbar situationaler Kontext – konzeptuelles Wissen, das durch eine Äußerung aktiviert wird.


  1. Annahme des wechselseitigen Wissens:

Ich muss in jeder Situation wissen, was das Gegenüber weiß. Dann ist auch klar, was der Andere über mich weiß. Man muss die Äußerung ja so konstruieren, dass man sicher sein kann, dass sie der andere auch versteht. Es gibt verschiedene Stufen des wechselseitigen Wissens: - physische Kopräsenz: Man kann davon ausgehen, dass H das Gleiche wahrnimmt wie S - linguistische Kopräsenz: man kann davon ausgehen, dass beide das gleiche Verständ-nis haben. Gemeinschaftszugehörigkeit: Mitglieder von verschiedenen Gruppen haben bestimmtes Vorwissen.

Beispiel: Maria und Peter betrachten eine Landschaft mit einem größeren Gebäude auf einem Hügel. Maria sagt: “Ich war schon in dieser Kirche.”

Der Kontext ist nicht fix vorgegeben, sondern wird im Zug der Äußerungsinterpretation konstruiert. Hörer haben immer ein Set “möglicher” Kontexte. Die Relevanztheorie besagt aber auch, dass Kommunikation ohne wechselseitigem Wissen möglich ist. (Peter muss z.B. nicht wissen, dass es sich bei dem Gebäude um eine Kirche handelt; die Personen konkretisieren ihr wechselseitiges Wissen im Gespräch.)

28. Was bedeuten folgende Begriffe in der Relevanztheorie?

- informative Intention: den H über etwas zu informieren; die Intention, beim Hörer ein Set von Annahmen manifest bzw. manifester zu machen. - kommunikative Intention: die Intention, die informative Intention für Sender und Zuhörer wechselseitig manifest zu machen. - manifest: ist ein Faktum; wenn das Individuum dieses Faktum zu einer bestimmten Zeit mental repräsentieren kann und diese Repräsentation als wahr oder wahrscheinlich akzeptiert. Die Relevanztheorie geht davon aus, dass wir über nicht-manifeste Dinge auch nicht kommunizieren können. - kognitive Umgebung: all jene Faktoren, die einer Person manifest sind (nicht unbedingt präsent). Bezeichnet alle Annahmen über die Welt, die ein Individuum zu einer bes-timmten Zeit in der Lage ist zu konstruieren und als wahr zu akzeptieren > diese An-nahmen haben einen unterschiedlichen Grad an Manifestheit. Die kognitive Umgebung eines Individuums ist eine Funktion seiner physischen Umwelt und seiner kognitiven Fähigkeiten (Gedächtnis, enzyklopädisches Wissen, Erfahrungen, Folgerungsfähigkeiten etc.) - wechselseitige kognitive Umgebung: jede geteilte kognitive Umgebung, bei der manifest ist, welche Personen sie teilen. Die Unterscheidung von Graden der Manifestheit und die Bestimmung, dass die Annahmen nur möglich sein müssen (und nicht tatsächlich), gestatten es, von einer geteilten kognitiven Umgebung als Voraussetzung für erfolgreiche Kommunikation zu sprechen. - kontextuelle Implikation: kontextabhängige Schlüsse, die aufgrund der kognitiven Umgebung und bestimmter Fragestellungen einer Person gezogen werden können. - kontextueller Effekt: neue Annahme, die a) eine kontextuelle Implikatur erlaubt, b) eine bestehende Annahme stützt, c) einer bestehenden Annahme widerspricht.

29. Was versteht man unter ostensiven Akten? Was sind deren Ebenen? Welche Arten von ostensiver Kommunikation unterscheidet man? Wie kann kodierte Information verwendet werden und wie erfolgt die sprachliche Kommunikation?

Ostension ist das Signal, dass ein Sprecher etwas mitzuteilen hat. Ostensive Akte machen eine Intention manifest, etwas manifest zu machen (sie tragen eine Garantie der Relevanz in sich). Ostension hat zwei Ebenen: - die Information, auf die hingewiesen wird - die Information, dass auf diese Information hingewiesen wird

Arten von ostensiver Kommunikation: - ostensiv-inferentielle Kommunikation: S produziert Stimulus, der es für S und H wechselseitig manifest macht, dass er durch diesen Stimulus ein Set von Annahmen manifest (oder manifester) machen will. (ist nicht auf sprachliche Kommunikation beschränkt). - kodierte Information: kann nur dazu verwendet werden, die ostensiv-inferenzielle Kommunikation zu verstärken. - sprachliche Kommunikation: die erste Ebene ist immer linguistisch kodiert, der Über-gang von rein nichtsprachlicher Ostension zu sprachlicher Kommunikation (und Osten-sion) ist fließend.

30. Was besagt das Relevanzprinzip?

Die Relevanz eines sensorischen Inputs für eine Person: - je größer die positiven kognitiven Effekte durch das Verarbeiten eines Inputs sind, desto mehr Relevanz hat dieser Input für eine Person. - je größer der Verarbeitungsaufwand ist, umso geringer ist die Relevanz eines Inputs für eine Person. > Sprecher wollen immer den größtmöglichen kontextuellen Effekt für den verfügbaren Verarbeitungsaufwand erreichen.

Jeder Akt von ostensiver Kommunikation kommuniziert die Vorannahme seiner eigenen optimalen Relevanz. Diese Vorannahme hat zwei Aspekte: - das Set von Annahmen, das der Sprecher dem Hörer manifest machen will, ist von sich auch relevant genug (für den Hörer), um den ostensiven Stimulus zu verarbeiten - der ostensive Stimulus ist der relevanteste, den der Sprecher wählen konnte, um das Set von Annahmen zu kommunizieren. Das Relevanzprinzip erklärt, wie linguistisches Wissen und Weltwissen im Rahmen der kognitiven Theorie zusammenwirken > bildet den größten Unterschied zu Grice – es geht in der Relevanztheorie um kognitive Mechanismen.

31. Was etabliert der interpretative Gebrauch von Äußerungen? Was versteht man insbesondere unter Echo-Verwendung? Was ist die interpretative Ähnlichkeit?

Interpretativer Gebrauch: etabliert keine Erwartung der Wahrhaftigkeit, sondern eine Erwartung der Genauigkeit bzgl. des Sprechers. Das Ausmaß der Genauingkeit ist kontextabhängig (z.B. offensichtlich, anscheinend, ich nehme an, dass…). Erwartung der Wahrhaftigkeit: es wird erwartet, dass der S die Äußerung eines anderen wahr und genau wiedergibt (nicht wörtlich, aber inhaltlich). Eine Echo-Verwendung drückt die Sprechereinstellung aus. Sprecher können dabei zwei Ziele verfolgen: - Unterschiedliches Ausmaß an Genauigkeit angeben, auf das sie verpflichtet werden können - ihre Einstellung zur wiedergegebenen Äußerung ausdrücken.

Das wird durch die interpretative Ähnlichkeit gesteuert. Effekte: - Metapher (“Mein Nachbar ist ein Drache”) > der Nachbar ist unfreundlich, hat aber keine langen Krallen - Ironie (“Hast du eh nicht vergessen, die Blumen zu gießen?” – bei Regen)

Die Relevanztheorie will diese Phänomene auch in Grammatiken miteinbeziehen

32. Erklären Sie die Unterschiede zwischen der Grice‘schen Theorie und der Relevanztheorie.

Grice Relevanztheorie

  1. Äußerungsinterpretation umfasst zwei Bereiche:

- das “Gesagte” (wird im Rahmen einer traditionellen Semantik konstruiert) - das “Implizierte” (wird durch die Anwendung des Kooperationsprinzips und der Maximen erschlossen) - Anwendungsbereich der Maximen ist durch Kooperationsprinzip eingeschränkt # Äußerungsinterpretation erfolgt, indem einem ein- heitlichen Prinzip (dem Relevanzprinzip) gefolgt wird

  1. Semantik (Linguistik) liefert prinzipiell immer den Input

für eine inferenzbasierte, kognitive Pragmatik

  1. Anwendungsbereich dieser pragmatischen Schluss-

prozesse ist nicht beschränkt, sondern erfolgt immer

  1. Implikaturen werden erst dann konstruiert, wenn

das “Gesagte” offensichtlich nicht dem vom Sprecher intendierten “Gemeinten” entspricht # Explikaturen sind der zentrale Prozess der Äußerungs-anreicherung und werden immer konstruiert

  1. Implikaturen umfassen zwei Bereiche:

partikularisierte Implikaturen sind kontextabhängig, Standardimplikaturen aber nicht! # Implikaturen umfassen nur einen relativ kleinen Bereich kontextuell basierter Schlüsse und können (im Prinzip) auch Ausgangspunkt für die Konstruktion weiterer Explikaturen sein

  1. Partikularisierte Implikaturen werden nach einem

anderen Schema konstruiert als Standardimplikaturen: Partikularisierte Implikaturen beruhen auf Verstößen gegen die Gesprächsmaximen; Standardimplikaturen setzen hingegen voraus, dass den Maximen gefolgt wird # Das Relevanzprinzip ist ein einheitliches Prinzip kognitiver Systeme, dem gefolgt werden muss und das jede Art von Informationsverarbeitung kognitiver Systeme steuert (d.h. dass ostensiv-inferentielle Kommunikation nur ein Spezialfall der Informations-verarbeitung ist)

  1. die Gesprächsmaximen haben offenbar nicht alle

den gleichen Status (Relevanzmaxime scheint wichtiger zu sein als andere)


  1. Grice’sche Theorie:

- nimmt höheres Maß an Kooperation an (Kooperationsprinzip) - Sprecher befolgen vier Maximen - zwei Klassen von Bedeutungsgenerierung: konventionelles Code-Modell vs. indirekte Implikaturbedeutungen - Implikatur: Äußerung muss gegen eine Maxime verstoßen, um Implikatur in Gang zu setzen - wenn die Äußerung wörtlich gemeint ist, beruft man sich auf die traditionelle Seman-tiktheorie

  1. Relevanztheorie:

- nur Intentionalität unterstellt (Relevanzprinzip) > keine Maxime - S und H folgen einfach dem Relevanzprinzip (funktioniert automatisch) – ohne irgendwelche Maximen befolgen zu müssen - übergreifend: will alle Effekte sprachlicher Kommunikation erklären (ostentativ-inferentielle Kommunikation, ostensiver Stimulus) - Implikatur: muss nicht gegen etwas verstoßen, sondern verwendet gleiche Mechanismen wie bei Explikaturen; der Unterschied zu Explikaturen besteht darin, dass Explikaturen sprachliche kognitive Prozesse, Implikaturen hingegen kontextuelle Annahmen verwenden. - Sprechakte beinhalten in der Relevanztheorie zwei verschiedene Kommunikationsakte: einen, der die Information der eingebetteten Proposition ausdrückt, und einen, der die Proposition des Matrixsatzes ausdrückt und dem Hörer hilft, den Inhalt der eingebettten Proposition zu verstehen - Die Relevanztheorie steht im Gegensatz zu den meisten anderen pragmatischen Theorien, da sie Kommunikation nicht mit Handlung gleichsetzt (»Unter dem Aspekt der Kommunikation wird keine Handlung durchgeführt, sondern nur kommuniziert.«) > einer der meist kritisierten Aspekte der Relevanztheorie - Die Relevanztheorie konzentriert sich auf kognitive Prozesse (Universalien), die bei Grice gar keine Rolle spielen


SOZIALE INTERAKTION UND SPRACHLICHES HANDELN – DIE HÖFLICHKEITSTHEORIE UND IHRE WEITERENTWICKLUNG[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

33. Was ist die Höflichkeitstheorie?

Wurde von Brown und Levinson 1978 bzw. 1987 entwickelt; hat mit “Höflichkeit” nur am Rande zu tun. Der englische Begriff “politeness” ist viel weiter gefasst und meint sozial angepasste Interaktion. Der Ausgangspunkt der politeness theory ist Grice’s intentionale Bedeutungstheorie und seine Theorie der Kommunikation; sowie die Beobachtung, dass - in allen Kulturen die rationalste Form der Interaktion (= die Orientierung an den Kommunikationsmaximen) außerhalb institutionalisierter Kontexte äußerst selten ist und es damit ein Überwiegen scheinbar “irrationaler” Kommunikationsformen gibt, die allerdings “rationale” Gründe haben - die illokutionäre Kraft von Äußerungen sich an kleinen Details festmacht (und meistens nicht an performativen Verben) - die Realisierung dieser Details lässt darauf schließen, dass Interagierende sich bei der Produktion ihrer Äußerungen strategisch an der Vermeidung des “Gesichtsverlusts” ihrer Interaktionspartner orientieren > die “Höflichkeit” als zentrale Kategorie der sozialen Interaktion

  1. Ziele der Theorie:

- Parallelen der Äußerungskonstruktionen in verschiedenen Sprachen erklären (“meta-kulturelle Theorie”) - Aufzeigen, dass Muster der Äußerungskonstruktion grundlegende Einsicht in die interaktionsbasierten Prinzipien der Beziehungsgestaltung zwischen Personen gewähren - Interaktion reflektiert und artikuliert Beziehungen - Beweisen, dass es “soziale Universalien” in der Beziehungsgestaltung gibt - Zeigen, dass diese Universalien grundsätzlich rational strukturiert sind und verwendet werden (eindeutige Aussagen) - die Äußerungskonstruktion kann auf “strategischen Sprachgebrauch” zurückgeführt werden - Suche nach einer Theorie, die empirische Phänomene besser erklärt (Höflichkeitsstrate-gien – Soziolinguistik – Diskursanalyse).

  1. Grundlegende Annahmen:

Die Theorie geht von einer idealen Gesprächssituation aus. Eine Modellperson (MP) ist mit Rationalität und “Face” ausgestattet. (Der Begriff “face” stammt aus Goffmanns Soziologie und wird von Brown/Levinson neu definiert) Rationalität = zielgerichtetes Denken. Rationale Fähigkeiten = Fähigkeit, konsistent von Zielen auf die notwendigen Mittel zu schließen. Face = Die MP will von anderen nicht gestört werden, aber in bestimmter Hinsicht geschätzt werden. Ist als Form des Ichs zu vestehen, das die Person in der Interaktion mit anderen besitzt; ein “gewünschtes Image”, das andere in der Gesellschaft wahrnehmen (öffentliches Selbstbild); “Face” besteht nicht aus Normen, sondern aus Wünschen Linguistische Strategien = Mittel, die kommunikationsorientierten und face-orientierten Zielen dienen Positive Face = eigene Sicht auf die Persönlichkeit; hat den Wunsch, geachtet, gemocht und gewürdigt zu werden (grundlegende Bedürfnisse, die nur durch Aktionen von anderen befriedigt werden können > das positive face ist gruppenspezifisch) Negative Face = Recht/Anspruch auf Wahrung der Privatsphäre, darauf, in Handlungen nicht gestört zu werden (Anspruch auf Territorium äußert sich nonverbal; die Größe ist kulturspezifisch, z.B. Händeschütteln, Schulterklopfen; Recht auf Ungestörtheit: den anderen ausreden lassen, ihn zu nichts zu zwingen)

“Face” wird von Brown/Levinson neu definiert: Das Face ist nicht das Selbstbild, sondern der Wunsch der MP, nicht gestört zu werden (negative face) und der Wunsch, dass die Wünsche der MP von anderen auch gewollt und akzeptiert werden (positive face) - wenn meine Wünsche respektiert werden, respektiere ich die Wünsche der anderen (und umgekehrt) - meine Ziele sind immer eine Beeinträchtigung der Wünsche des anderen - das System darf aber auch nicht zusammenbrechen

Faktoren, die das Ausmaß der aktuellen Gesichtsbedrohung beeinflussen: - sprachliche Handlungen variieren in der Stärke ihres Gesichtsbedrohungspotenzials (FTA-potential; FTA = face threatening acts) > das Ausmaß ist stark kulturabhängig (führt zu Stereotypen und kommunikativen Problemen [die Theorie war jahrzehntelang populär in der interkulturellen Kommunikation]) - Interaktionsziele der Interagierenden - kontextuelle Faktoren Empirische Basis der Höflichkeitstheorie: Britisches und Amerikanisches Englisch, Tzeltal (Chiapas, Mexiko - Maya), Tamil (Südindien)

  1. Bedrohungen (FTA) des negative face:

- wiegen stärker als Bedrohungen des positive face – das gilt für alle Kulturen - Vorhersagen zukünftiger Handlungen des H (Anordnungen, Bitten, Vorschläge, Ratsch-läge, Erinnerungen, Drohungen, Warnungen – “mach das Fenster zu”) - Handlungen, die H zwingt, zukünftige Handlungen von S zu akzeptieren oder abzu-lehnen (Angebote, Versprechen) - Handlungen, die einen Wunsch von S gegenüber H oder seinen Gütern ausdrücken (Komplimente, Neid, Bewunderung, Ausdruck negativer Emotionen; können auch positive face bedrohen)

  1. Bedrohungen (FTA) des positive face:

- Negative Bewertung von Hs positive face (Kritik, Lächerlichmachungen, Verachtung, Vorwürfe, Beleidigungen + Widersprüche, Herausforderungen) - Handlungen, die zeigen, dass dem S Hs positive face egal ist (Ausdruck unkontrollierter Emotionen: Respektlosigkeit, Ansprechen von Tabu-Themen; bestimmte Anredeformen, z.B. Duzen von erwachsenen Ausländern) - schlechte Nachrichten über den H bzw. gute über den S ansprechen - das Aufgreifen polarisierender Themen - offensichtlicher Unwille zu Kooperation - Verwendung bestimmter Anredeformen

  1. Bedrohungen von Hs face bzw. von Ss face

- Handlungen, die Ss negative face bedrohen (Ausdruck von Dank, Entschuldigungen, Reaktionen auf einen faux pas, Akzeptieren von Angeboten und Dank) - Handlungen, die Ss positive face bedrohen (Entschuldigungen, Akzeptieren von Komplimenten, Zusammenbruch der Kontrolle über den Körper und seine Funktionen; Selbsterniedrigungen, Zugeben von Schuld usw.)

  1. mögliche Kreuzklassifikationen:

Negative Face Positive Face Bedroht S Versprechen Entschuldigung Bedroht H Warnung Kritilk


Kritik: Welche Strategien gibt es bei der Durchführung von FTAs? - Wunsch nach Kommunikation (den Inhalt des FTA zu kommunizieren) - Wunsch nach Effizienz - Wunsch, das face des H (und das eigene) zu erhalten

Risikoeinschätzung des Gesichtsverlustes (kleiner – größer: kulturabhängige Ausprägung der Skala, läuft meist automatistiert und unbewusst ab – außer man muss zwischen zwei Alternativen entscheiden oder man handelt sehr reflektiert, z.B. Anthropologe) > FTA durchführen (bei kleinem Risiko) bzw. FTA nicht durchführen (bei großem Risiko) > offen durchführen (kleines Risiko) oder verdeckt durchführen (großes Risiko) (= das Gegenüber muss den FTA durch Implikaturen erschließen) > ohne Wiedergutmachtung (kleines Risiko) oder mit Wiedergutmachung (d.h. mit bestimmten Abschwächungsstrategien) > positive politeness / negative politeness

- verdeckte Durchführung: die Aufforderung ist nicht explizit und muss von H interpretiert werden (“Hier zieht’s furchtbar.”) - “knappe Durchführung”: wenig Bedrohungspotenzial - direkte Durchführung von Sprechakten (Situationen, in denen der Inhalt im Vordergrund stehen; sind aber recht selten, z.B. in der Autowerkstatt) - offene Durchführung: mit Wiedergutmachung. Der bedrohende Sprechakt wird geäußert, aber mit eingebauten Wiedergutmachungsstrategien Auswahlstrategien: Je bedrohlicher der FTA, umso höher ist die numerierte Strategie, die gewählt wird > das Ausmaß der Bedrohung wird “berechnet”: die soziale Distanz (D) zwischen S und H + relative Macht (M) von S und H (symbolische oder tatsächliche) + absolute Rangreihe (R) der “Belästigungen” in einer Kultur; Wx ist das numerische Ausmaß der Schwere eines FTA: Wx = D (S,H) + M (S,H) + Rx In der ersten Euphorie wurde damit tatsächlich gerechnet und quantifiziert, was die Theorie in Verruf brachte.

34. Was ist der Unterschied zwischen positiver und negativer Politeness? Wie werden sie sprachlich realisiert?

  1. positive politeness:

Annäherungsstrategien – ich versuche dem anderen zu signalisieren, dass wir zusam-mengehören (Vereinnahmung) - Behauptung von Gemeinsamkeiten; Vermittlung von Interesse an H; Suche nach Übereinstimmung, Vermeidung von Nicht-Übereinstimmung; Präsuppositionsmanipula-tion (“Möchtest du nichts trinken?”); Witze (“Kannst du mir den Schrotthaufen borgen?”); Vermittlung, dass S und H zusammenarbeiten; Zeigen, dass man auf die Wünsche von H Rücksicht nimmt (“Ich weiß, dass du dein Auto um 20h wieder brauchst. Soll ich jetzt fahren?”); Angebote machen; optimistisch sein (“Ich bin mir sicher, es macht dir nichts aus, mir dein Auto zu borgen!”); Vereinnahmung von H (“Lass uns doch spazieren gehen!”); Gründe angeben, nachfragen, Reziprozität versichern (“Ich helfe dir auch”); Hs Wünsche in irgendeiner Hinsicht erfüllen.

  1. negative politeness:

(Distanz – ich will dir eh nichts antun…) - direkt sein; wenn die Störung zu groß ist, dann indirekt sein, aber nicht mehr als nötig (konventionalisierte Indirektheit)

Kategoriesierung von (Frage-)Sätzen: Frage +/- Konjunktiv +/- Möglichkeitsoperator +/- Bitte Assertion +/- Negation +/- Möglichkeitsoperator +/- Bitte Je mehr dieser Elemente in einem Satz vorhanden sind, desto höflicher ist er.

  1. Beispiel (Frage):

- Könntest du mir (bitte vielleicht) das Salz geben? (Konjuktiv + Bitte + Möglichkeitsoperator)

  1. Beispiel (Aussage)

- Du kannst mir das Salz geben. (unhöflich) - Du könntest mir nicht vielleicht das Salz geben, bitte. (höfllich – Konjunktiv + Negation + Möglichkeitsoperator + Bitte)

Verwendung von Heckenausdrücken: nur minimale Voraussetzungen bzgl. der Wünsche von H machen. Können sich beziehen auf - Illokution: “Das war wunderbar, oder?” - Grice’sche Maximen: “Es gibt Indizien dafür, dass…” (Qualität) - Höflichkeitsstratgien: “Ich sage das nur ungern, aber…” (FTA)

Den H nicht zwingen – pessimistisch sein: - “Ich glaube nicht, dass du… aber…” Die Belästigung für den H minimieren: - “Ich wollte sie nur kurz fragen, ob…” Respektvoll sein: - S macht sich selbst kleiner und den H größer Den Wunsch des S vermitteln, H nicht einzuschränken (S und H depersonalisieren): - “Ab Ende Mai keine Briefe mehr zustellen” Den FTA als generelle Regel formulieren: - “Besuchern ist das Rauchen nicht gestattet” Nominalisierungen: - “Ihre Prüfungsleistung war ausgezeichnet” Negative faces wieder gut machen, Schuld eingestehen: - “Ich werde dir ewig dankbar sein”

35. Welche Probleme ergeben sich bei der HT in Bezug auf empirische Daten?

Ist politeness wirklich so universal, wie es in der Berechnungsformel dargestellt wird? Sind die angegeben Variablen bei empirischen Untersuchungen nicht relativ?

36. Welche Kritikpunkte wurden seit der Publikation der HT von Brown/Levinson in der Literatur besprochen?

Kritik von Watts: - Die Strategien sind sehr heterogen - unterschiedliche Motivationen können zum selben sprachlichen Output führen. - Die sprachlichen Realisierungen selbst sind nicht inhärent “höflich”; sondern werden nur durch die Theorie als “höflich” interpretiert. Der Gesprächspartner ist in der Theorie nicht “relevant”. - Außerdem kann es sein, dass eine Sprechhandlunhg “höflich” formuliert ist, aber trotzdem eine Beleidigung ist (die Gesprächspartner sind in der Theorie nicht “relevant”.) - “Höflichkeit” hat eine Alltagsbedeutung, die für die wissenschaftliche Verwendung des Begriffs hinderlich ist. Das Modell kann zudem übermäßige, sarkastische Höflichkeit nicht erklären. - Alltagskonzept von Höflichkeit, über das selbst unter Gesprächspartnern keine Überein-stimmung herrschen muss - wissenschaftliches Konzept von Höflichkeit, das eine Analyse von aufgezeichneten Gesprächen erlaubt. Was passiert aber, wenn die beiden Konzepte nicht übereinstimmen? Watts sagt, es geht nicht um höfliches (polite), sondern um taktisch kluges bzw. ange-messenes (politic) Verhalten. Er baute eine alternative Theorie auf: - nicht angemessenes Verhalten = Unhöflichkeit - angemessenes Verhalten = Höflichkeit - aggressives facework: wird herausgefordert (in Diskussionen) - unterstützendes facework: Beratungsgespräche - sprachliche Höflichkeit – unnötige sprachliche Höflichkeit


RESÜMEE[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

siehe Folien