Uni Wien:Einführung in die Soziolinguistik VO (Menz)/Mitschrift

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Was ist Soziolinguistik?[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Soziolinguistik beschäftigt sich mit der gesellschaftlichen Funktion von Sprache.

  • Gesellschaft ist hierbei eine Gruppe von Personen, die sich zu einem gewissen Zweck bildet.
  • Sprache ist alles das, was eine Gesellschaft spricht.
  • Eine Grammatik einer Sprache gibt die Regeln für deren richtigen Gebrauch vor.

Soziolinguistik beschäftigt sich mit der Performanz der Sprache.

Viele LinguistInnen sehen Sprache als homogen an und Sprecher als monostilistisch. Das stimmt so aber nicht! Einsprachigkeit ist eher die Ausnahme als die Regel. Die Variation, d.h. die Performanz, ist aber nicht beliebig!

Innerhalb der Soziolinguistik existieren verschiedene Bereiche/Ansätze:

  • Theoriebildung: Unterschiedliche Theorien, zum Teil inkompatibel
  • Datenerhebung: Unterschiedliche Ansätze, was relevante Daten sind und wie sie aussehen
  • Forschungsprobleme
  • "Signifikanz", Generalisierbarkeit
  • Interpretationen, Verwertungsrelevanz

In dieser Vorlesung werden verschiedene dieser Ansätze präsentiert.

Man kann vier mögliche Auffassungen über die Beziehungen zwischen Sprache und Gesellschaftsstruktur unterscheiden:

  • Soziale Struktur bestimmt die Sprache - dies würde beispielsweise Phänomene wie age grading, Unterschiede in Geschlecht, Religion usw. erklären
  • Sprache bestimmt soziale Struktur - siehe die Whorfsche linguistische Relativitätshypothese
  • Sprache und soziale Struktur beeinflussen sich gegenseitig - marxistische Theorien, aber auch in der kritischen Diskursanalyse vertreten, siehe auch Giddens Theorie
  • Es gibt kein Verhältnis zwischen Sprache und sozialer Struktur oder wir wissen zu wenig darüber - siehe Chomsky

Laut Trudgills Definition sind nur solche Studien soziolinguistisch, welche linguistische Theorien durch soziologisches Wissen verbessern. Dies würde aber bedeuten, dass sowohl die Ethnomethodologie als auch Bernsteins Studien nicht zur Soziolinguistik gehören. Diese Definition ist daher umstritten.

Anmerkung: Bis Anfang November (vermutlich etwa bis 9.11.) soll die erste Textzusammenfassung geschrieben werden. Auf der E-Learning Plattform ist der angegebene Abgabeschluss der 24.11. um 14h.

Die Gemeinsamkeit aller soziolinguistischen Theorien ist, dass sie sich als empirisch (d.h. hypothesen- und theoriegeleitet) ausgerichtete Forschung verstehen. Sie werden nicht durch Introspektion (!= externe Evidenz) geleitet.

Noam Chomsky hat sich im Gegenteil dazu oft auf Introspektion verlassen (vgl. Grammatikalitätsurteile zu Sätzen). Dabei wurden oft nicht alle Daten untersucht, die zugänglich sind. Von Kritikern Chomskys wird dieser Mangel an Empirie oft mit diesem Zitat Chomskys illustriert:

 "Let's take any language, for example, English..."

Welche möglichen empirischen Datenquellen könnte es in der Soziolinguistik geben?

  • Statistische und demographische Daten
  • Interviews
  • Feldbeobachtungen (zB Straßenkonversation)
  • Beschreibungen & Kategorisierungen
  • Fragebogen
  • Zeitungsartikel
  • Sekundärquellen
  • Tests (durch diese kann man Daten elizitieren)
  • Dokumente (historische z.B.)
  • Netzwerkanalysen

(Introspektion soll vermieden werden, denn empirische Untersuchungen sind gefragt)

Beobachterparadoxon: uns geht es darum, unbeobachtete Sprache zu untersuchen. Dies ist paradox, denn wir wollen etwas unbeobachtetes beobachten. Es gibt zwar Tricks, Methoden, dieses Paradoxon, diese Probleme zu minimieren, denn dieses Paradoxon ist eines der Hauptfehlerquellen in der Soziolinguistik. Dennoch können wir nicht absolut unbeobachtete Sprache nicht beobachten.

Varietäten[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Unser Ausgangspunkt ist das natürliche Wissen über unterschiedliche Verwendung von Sprache. Jede dieser verschiedenen Spielarten, in denen eine historisch-natürliche Sprache in Erscheinung tritt, kann man zweckmäßigerweise mit dem Begriff Varietät bezeichnen. Es kommt zu Standardisierung.

Varietät ist ein neutraler Begriff (im Unterschied zum Dialekt, dieser hat, zumindest in manchen Sprachen, eine negative Konnotation).

Tatsächlich spricht man anders mit kleinen Kindern als mit Eltern, Freunden, usw. Andererseits kann man auch unterschiedliche Varietäten voneinander unterscheiden, wenn andere Personen sie sprechen. Mit Varietät sind keine künstlichen Sprachen gemeint (mathematische Formelsprache, Programmiersprache), es wird nur natürliche Sprache untersucht. Standardsprache ist auch eine Varietät (Dialekt, Standard), die Substandardsprache jedoch nicht (der Begriff ist im Gegensatz zu „Varietät“ wertend).

Linguistisch gesehen können Standardsprachen ein Kontinuum sein. Im ehemaligen Jugoslawien z.B. ist für die neu entstandenen Sprachen des Serbischen und Kroatischen schwer zu argumentieren, warum sie als zwei verschiedene Sprachen gesehen werden und nicht als zwei verschiedene Dialekte. Diese Sprachen wurden durch sprachplanerische Maßnahmen bewusst in verschiedene Richtungen gedrängt.

Nomalerweise unterscheidet man zwischen Standardsprache und Dialekt durch die Anzahl unterschiedlicher Merkmale. Es ist aber oft schwierig, zu entscheiden, wann etwas ein Dialekt ist, wann ähnliche Sprachen eigene Standardsprachen sind. An der deutsch-niederländischen Grenze beispielsweise gibt es Übergange vom Deutschen zum Niederländischen, also ein Kontinuum. Andererseits kann man als Deutschsprachiger im Normalfall Niederländisch nicht ohne weiteres verstehen. Standardisierungsprozesse unterstreichen oft politische Prozesse (zB Ex-Jugoslawien, Wiederbelebung des klassischen Hebräischen, Atatürk, usw.).

Varietäten - Stratifizierungen

   ...  ist ... definiert
 Dialekt      diatopisch
 Soziolekt    diastratisch
 Register     diaphasisch
 Stil         pragmatisch 										                                                

Der Begriff Dialekt kann für eine spezifische Form der Varietäten verwendet werden, namentlich für diatopische, also örtliche Variation.

Als Soziolekt bezeichnet werden diastratische (dia+stratisch = durch die Schicht, Ebene) Variationen, die als vertikale Schichtung darstellbar sind.

Unter Register versteht man eine diaphasische Stratifizierung. Diese beruht auf dem natürlichem Wissen, dass wir je nach Kontext, Situation und Teilnehmerzahl unterschiedlich sprechen. In einer Lehrveranstaltung über Soziolinguistik wird man anders sprechen als im Gasthaus oder vor dem Fernseher. Diese Abhängigkeit von kontextuellen Faktoren ist eine diaphasische.

Der Stil ist pragmatisch, nämlich über den Formalitätsgrad, definiert. Oft ist der Unterschied zwischen Register und Stil schwer zu definieren. Der Stil kann aber beispielsweise ironisch, aggressiv oder formal sein. Man kann in jeder Situation, in jedem Dialekt, in jedem Soziolekt ironisch/nicht ironisch, aggressiv/nicht aggressiv sein.


Kurze Zwischenübung (transkribierte Gespräche, s. Word-Datei l HA 2 Übung zur Variation im WebCT):

  • 1. Textteil: Der Text ist Berlinerisch, die stereotypen Merkmale charakterisieren Gina als Sprecherin, die eher der Unterschicht oder der mittleren Unterschicht zugehörig ist, da Angehörige der gebildeten Schicht Berlins verschiedene Ausdrücke Ginas als unfein bewerten würden.
  • 2. Textteil: Manche Elemente sind hier der Situation zuzuschreiben. Das Register zeichnet sich hier durch Fachausdrücke wie "Sechzehntel", oder "Vibrato" aus.

Innerhalb einer Sprachgemeinschaft gibt es viele Varietäten und ebensoviele Werturteile (gut/schlecht, schön/hässlich) darüber. Linguistisch gesehen gibt es jedoch keine Kriterien, nach denen man eine Varietät/Sprache als schön oder hässlich, gut oder schlecht beurteilen kann.

Variationen sind nicht beliebig. Welche Faktoren beschränken die Variation?

Das Wissen über eine Sprache/Variation (der Wortschatz z.B.) kann eine Beschränkung sein, aber auch die regionale Herkunft, die soziale Zugehörigkeit, das Register und der Stil (wie stelle ich mich als Sprecher der Situation, in der ich mich befinde?).

Linguistisch (nicht soziolinguistisch) betrachtet gibt es zwei Faktoren, welche die Variation einschränken:

Neben dem Wortschatzwissen sind dies die Kookkurenzregeln (bei gleichzeitigem Auftreten) - es können nicht innerhalb eines Satzes mehrere Varietäten gebraucht werden, wie in "ich kimm" oder "i komme".

S. dazu auch: Moosmüller, Sylvia: Soziophonologie, Kookkurenzregeln.

Soziale Variation - Dialektographie[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Soziolinguistik beschäftigt sich vor allem mit sozialer Variation. Sie hat sich aus der Dialektologie entwickelt. Letztere hat eine sehr lange Tradition, sie untersucht in den Bereichen Zeit und Entfernung Fragen wie: wie hat sich ein Dialekt entwickelt, wann wurde er wie gesprochen, wo wird welcher Dialekt gesprochen? Die Ergebnisse werden in Dialektatlanten eingefasst. (siehe auch Karte Dialektatlas deutscher Sprachraum, HA 1,Rheinischer Fächer).

Isoglossen sind Trennlinien, die den Ort markieren, der einen Dialekt von einem anderen Dialekt trennt. Wenn ein Isoglossenbündel sehr dick wird, spricht man von unterschiedlichen Sprachen. Es gibt jedoch keine Kriterien, wieviele Isoglossen nötig sind, um eine eigene Sprache abzugrenzen.

Die Datenerhebung in der Dialektologie konzentriert sich auf ländliche Gegenden, besonders auf ältere Personen, die wenig herumgekommen sind, denn man interessiert sich für die ursprünglichste Form. Es gilt nämlich: Je weiter der Kommunikationsrahmen einer Person ist und je weiter sie herumkommt, desto mehr geht ihre Varietät Richtung Standardsprache.

Gearbeitet wird mit Wortlisten und Benennungen, wodurch der Wortschatz erhoben wird. Hierbei werden Standardbegriffe vorgelesen und gefragt, wie dieser Begriff in dem untersuchten Dialekt heißt, oft werden hierzu auch Gegenstände in Form von Bildern gezeigt. Besonders nützlich ist letztere Strategie bei altem Werkzeug, welches es nicht mehr gibt.

An dieser Methodik ist von der Soziologie starke Kritik in Form von drei Hauptkritikpunkten geübt worden.

  • 1. Oft werden nur kaum besiedelte Gebiete erforscht, Urbanolekte bleiben unbeachtet, obwohl sich in der Stadt viel mehr abspielt, da dort alles viel dynamischer abläuft.
  • 2. Die Auswahl der Informanten ist unkontrolliert und unsystematisch: Man wendet sich an Pfarrer, Lehrer oder Bürgermeister, welche man bittet, möglichst bodenständige Informanten zu benennen.
  • 3. Nur geographische Faktoren werden berücksichtigt, andere wie Alter, Geschlecht oder Schicht hingegen nicht (oder nicht so sehr, vgl. dass man bevorzugt ältere Sprecherinnen und Sprecher befragt).

Aufgrund dieser Kritik hat sich die Soziolinguistik mit anderen Fragestellungen auseinandergesetzt, wie z.B. der sprachlichen Veränderung, der Variation oder der Sprachentwicklung.

Das Modell der linguistischen Variablen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Das Modell der linguistischen Variablen ist ein Modell von großer Bedeutung. Es ist eng mit der Forschungsrichtung der Soziolinguistik verbunden: William Labov, einer der Mitbegründer der Soziolinguistik, führte ausgehend von der Dialektgeographie den Begriff der linguistischen Variable ein. Er versteht darunter eine Einheit mit unterscheidbaren Varianten, also eine Menge von alternativen Möglichkeiten, sprachlich dasselbe zu sagen. Diese Varianten variieren systematisch nach bestimmten Kriterien.

Labov unterschied hierbei drei Varianten:

  • Indicators sind Variablen, die in keiner Weise soziale Signifikanz haben. In Österreich ist beispielsweise die phonologische Variation zwischen (vorderem, "Zungenspitzen-") r und (hinterem, uvularem) R mit keinerlei sozialen Faktoren in Zusammenhang zu bringen.
  • Stereotypes sind linguistische Variablen, die stereotyp verwendet werden. Im Wienerischen würde beispielsweise eine bestimmte Form von Nasalierung Snobismus und Aristokratie stereotyp ausdrücken. Im Kärntnerischen wäre "lei loßn" ein Beispiel.
  • Markers sind linguistische Variablen, die einen sozialen Unterschied machen und soziale Signifikanz haben. Sie sind meistens sehr bekannt und oft auch stigmatisierend. Ein Beispiel wäre das stark aspirierte k bzw. die Affrikata [kx] in verschiedenen Dialekten (vgl. "Kchind").

Es gibt zahlreiche Untersuchungen zu spezifischen Markern, beispielsweise die Gegenüberstellung im Englischen zwischen n und ŋ oder 0 und h (ouse statt house) oder der wienerische Vergleich zwischen also und oiso oder dem monolateralen l ("Meidlinger l") und dem bilateralen l.

Das Konzept der linguistischen Variablen hat in der Wissenschaft starke Rezeption erfahren und wird weiter verwendet. Es gibt jedoch die Kritik daran, dass die Variablen nicht trennscharf sind. Dies hat jedoch einen guten Grund, denn durch Sprachwandel werden Indicators oft zu Markers.

Gibt es einen Zusammenhang zwischen den linguistischen Variablen und sozialer Variation?

John Gumperz ist einer der führenden Soziolinguisten. Er untersuchte die soziale Variation in Indien. Dort definiert die Kastenzugehörigkeit die soziale Zugehörigkeit. Gumperz stellte fest, dass sprachliche Eigenarten eine eindeutige Indikation für eine bestimmte Kastenzugehörigkeit sind.

Diese Eigenarten sind vor allem durch phonologische Unterschiede realisiert. Sprecher/innen aus höheren Kasten machten bestimmte Unterschiede, die es im Sprachgebrauch der niedrigeren Kasten nicht gab. Die niedrigeren Kasten versuchten, "besser" zu sprechen als die höheren Kasten und machten dabei auch Unterschiede, die im Sprachgebrauch der höheren Kasten nicht gemacht werden.

In London beobachtet man beispielsweise auch Formen wie ospital, ouse, wenn versucht wird, besser zu sprechen, man nennt dies Hyperkorrektion. Diese findet beispielsweise auch statt, wenn statt Indien Hindien gesagt wird.

Von Gumperz wurde 1958 ein nordindisches Dorf in Hinblick auf die Relevanz der Kastenzugehörigkeit in bezug auf das sprachliche Verhalten untersucht. Dort entsprachen damals die Kasten ungefähr der sozialen Schicht. Für die Untersuchung beschäftigte sich Gumperz mit einer bestimmten Gruppe, nämlich Straßenkehrern.

Alle Kasten hatten bestimmte sprachliche Merkmale, wobei die unteren Kasten eine gewisse Anpassung an die oberen zeigten. Die untersuchte Varietät der Straßenkehrer (eine eher "niedrige", prestigelose Varietät) war der regionalen Verkehrssprache (eine "hohe", prestigereiche Variante) ähnlich. Das hatte zur Folge, dass höhere Kasten die Verkehrssprache aus Prestigegründen nicht benützen wollten bzw. konnten. Die Brahmanen zeigten daher "Sprachflucht", d.h. dass sie sich ihre Sprache weg vom regionalen Dialekt entwickelte (sie strebten also nach Differenzherstellung). Die niedrige Kaste verfolgte hingegen selbst eine Annäherung an die Entwicklung, die die Sprache der Brahmanen machte (sie strebten nach Differenzreduktion).

Die soziale Distinktion als Motivation kann daher (Aspekte von) Sprachwandel erklären, genau so die Annäherung. Bei der Annäherung an eine prestigereichere Varietät kommt es manchmal zu Hyperkorrektur, der Übergeneralisierung bestimmter Merkmale der Sprache, an die man sich annähern möchte.

Studien von Labov und Milroy[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Sprachgebrauch drückt die Art und Weise, wie Sprache funktioniert aus, er untersucht also die sozialen Beziehungen einer Gesellschaft. Damit unterscheidet er sich von der Dialektologie, welche nur das "wo" und "wann" untersucht.

Wenn man das Ganze mit Bühlers Sprachfunktionen Ausdruck, Appell und Darstellung beschreiben will, beschäftigt sich der Sprachgebrauch mit Informationsübermittlung und der Funktion des Ausdrucks von Gefühlen. Der soziale Kontext, der den Sprachgebrauch beeinflusst, kann in unterschiedliche Subfaktoren eingeteilt werden:

  • Teilnehmer der Situation - wer spricht mit wem?
  • Setting - wo, wann?
  • Thema - worüber?
  • Funktion - warum, wozu?

Dies illustriert auch die klassische Fragestellung der Soziolinguistik: Wer spricht zu wem, wann, wo, worüber, warum, wozu (zu welchem Zweck)?

Die Beziehungen innerhalb dieser Begriffe können unter folgenden Skalen betrachtet werden:

  • Die Solidaritätsskala (horizontal) beantwortet die Frage der sozialen Nähe (intim vs. distant), z.B. zeigt die Tatsache, ob man eine Person siezt oder duzt, eine hohe oder niedrige Solidarität auf dieser Skala.
  • Einen hohen Wert auf der Statusskala (vertikal) hat beispielsweise die Atomphysik im Gegensatz zum Kinderwickeln, und auch das Unterrichten im Gegensatz zum Unterrichtet-Werden.
  • Die Formalitätsskala (horizontal) ist höher, je formaler das Setting. Sie ist nicht mit der Solidaritätsskala zu verwechseln, denn das Setting kann dabei immer noch solidarisch intim sein.
  • Die funktionale Skala (horizontal) ist referentiell, sie zeigt den Informationsgehalt einer Mitteilung an. Daraus folgt, dass emotionalere Mitteilungen funktional niedriger sind.

Gewisse Variablen sind oft ganz leicht, andere sehr schwierig zu untersuchen. Die ethnische Zugehörigkeit zu untersuchen ist bereits schwierig, die soziale Klasse jedoch am schwierigsten zu stratifizieren.

Labovs Studie - Hyperkorrektheit[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Das Konzept der sozialen Klasse ist ein sehr abstraktes Konstrukt: wie kann es operationalisiert werden? Wie kann man es so fassen, dass es empirisch überprüfbar ist? Es gibt hierzu verschiedene Kriterien

Kriterien für Schichtzugehörigkeit:

  • Beruf
  • Bildung
  • Einkommen
  • Wohngebiet
  • Haushaltsgeräte, etc.

Dies sind sehr grobe Einteilungen. Labov bildete in seiner Untersuchung von 1966 zum "New York English" zehn soziale Schichten (social class). Grob klassifizierte er in die folgenden Gruppen:

  • Lower class (LC=US=Unterschicht)
  • Lower Middle Class (LMC=UMS=Untere Mittelschicht)
  • Middle Class (MC=MS=Mittelschicht)
  • Upper Class (UC=OMS=Obere Mittelschicht)

Labov teilte die Menschen nach sprachlichen Variablen ein, beispielsweise teilte er diejenigen, die die 3. Form Singular in Form von "he eat" statt "he eats" bilden, in die lower working class ein.

Ein schwieriger Punkt in dieser Frage ist das Verhältnis des Individuum zur Statistik. 30% einer Gesellschaft mögen einer lower class angehören, doch wie ist ein einzelnes Individuum in Bezug auf diese Kriterien handzuhaben?

Kritik wurde auch daran geübt, wie typisch ein bestimmtes Individuum die Schicht, der er zugeordnet worden ist, repräsentiert. Existiert so etwas wie die Mittelschicht oder die untere Mittelschicht überhaupt? Vielleicht spielen andere Kriterien wie die Zugehörigkeit zu Stadt- oder Landbevölkerung oder die ethnische Zugehörigkeit eine viel größere Rolle? Sind alle Angehörigen einer Gesellschaft gleich zu klassifizieren? Sollte zwischen der Migrationsbevölkerung und der lang ansässigen Bevölkerung unterschieden werden? Ist das Rollenverhalten und die Selbstzuschreibung, die Selbstidentifikation nicht wesentlich relevanter? Aufgrund dieser Schichtzugehörigkeitsproblematik wurden weitere Ansätze entwickelt.

Ein weiteres Problem ist nach Labov das Beobachterparadoxon. Dieses kann nicht gelöst werden, nur abgemildert. Labov hat einige sehr kreative Methoden entwickelt, um verschiedene Register (sprachliche Stile) feststellen zu können, die durch Unterschiede in den Formalitätsskalen feststellbar sind. Einerseits kann das Register von der sozialen Schicht abhängen, andererseits aber auch vom Formalitätsgrad.

Beispielsweise unterbrach Labov zur Abmilderung des Beobachterparadoxons die Interviewsituation, denn letztere ist eine formale Situation. Er schaltete außerdem das Mikrofon schon vor dem eigentlichem Beginn des Interviews ein. Zu diesem Zeitpunkt führte er noch Smalltalk, welchen er bei Kaffee und Tee auch aufnahm. Auch ließ er die Probanden Kinderreime aufsagen, um Erinnerungen daran zu wecken, wie ihre Eltern mit ihnen gesprochen hatten oder ließ sie Geschichten erzählen, in welchen sie in Lebensgefahr schwebten, um zu einem informellen Stil zu kommen.

Bei Gruppensitzungen versuchte er, Gruppen dazu zu animieren, ein bestimmtes Thema zu diskutieren. Wenn lebhaft diskutiert wurde, wurde die interne Kontrolle des Formalitätsgrads etwas abgeschwächt. Weiters versuchte er, durch schnelle, anonyme Interviews eine Abschwächung des Beobachterparadoxons zu erhalten.

Um formellere Gesprächsstile zu untersuchen, verwendete er Datenmaterial aus Interviews oder aus Sitzungen, in welchen er Leute vorlesen ließ. Die höchste Stufe des Formalitätsgrades erreichte er, indem er sie Minimalpaare (ein deutsches Minimalpaar ist z.B.: "tanken-danken") vorlesen ließ. Tatsächlich versuchen Leute in dieser Situation, diesen Unterschied stärker zu betonen, Untersuchungsgegenstand ist, ob es gelingt oder nicht. Labov verwendete auch Spracheinstellungstests, um zwischen dem eigenen Sprachgebrauch und der Bewertung zu unterscheiden. In solchen Tests sollte eine Person nach dem Anhören von einem zweimal in verschiedenen Varianten vorgelesenen Text die verschiedenen Aussprachen bewerten.

Eine ähnliche Technik ist der Matched-guise-Test. Dieser wurde beispielsweise zur Einstellungsuntersuchung zur englischen und zur französischen Sprache in Kanada bei zweisprachigen Hörern verwendet. Die Fragestellung hierbei war, wie die Hörer die sprechenden Personen charakterisieren würden, also z.B. ob sie sie als warmherzig oder intelligent einschätzten und welche Berufsklasse sie ihr zuschrieben.

Alle diese Beobachtungen sind jedoch unsystematisch und müssen geschickt kombiniert werden, es existiert keine Methode, die für sich alleine Erfolg verspricht.

Wie kann man nun für eine Studie, wie sie Labov durchgeführt hat, die Stichprobe aussuchen, sodass sie möglichst gut die untersuchte Bevölkerung beschreibt? Im einfachsten Fall nimmt man ein Zufalls-Sample, man kann aber auch ein gerichtetes Sample nehmen - in diesem Fall wählt man seine Stichprobe nach bestimmten Gesichtspunkten aus, beispielsweise könnte man 50 Männer und 50 Frauen in die Stichprobe aufnehmen, um keine Verzerrung durch das Geschlecht zu erhalten. Im Falle eines stratifizierten Samples wählt man aus einem riesigen Sample ein kleineres aus, das repräsentativ für das größere ist, d.h. wenn man beispielsweise nach Geschlecht stratifiziert, will man darauf achten, dass der Prozentsatz an Männern und Frauen in der Stichprobe gleich hoch ist wie der in der untersuchten Bevölkerung (z.B. 47% Männer, 53% Frauen).

In Labovs Studie zu linguistischen Variablen hatte dieser mehrere Hypothesen, welche sich bestätigten. Die erste besagte, dass, in New York das r nach Vokalen wieder eingeführt würde, also z.B. in fa -> far. Die zweite Hypothese war, dass dies eher in der Oberschicht als in der Unterschicht geschieht. Weitere Vermutungen waren, dass junge Personen das r nach Vokalen eher als Alte verwendeten, außerdem schien es stärker in formellen als in informellen Situationen verwendet zu werden. Auch wurde es im Auslaut eher produziert als vor Konsonanten (z.B. fourth).

Seine Studie fand in drei verschiedenen Kaufhäusern, die unterschiedliche Käuferschichten ansprachen, statt. Labov ging davon aus, dass die Verkäuferinnen im Sprachverhalten ihrer Kundschaft entsprachen, und machte kurze Interviews mit ihnen. Beispielsweise fragte er nach dem Aufenhaltsort eines Gegenstandes, und wenn die Verkäuferin "Fourth floor" antwortete, erwiderte er „Sorry?“ damit sie durch deutlichere Aussprache eine "careful speech" (höherer Formalitätsgrad als "casual speech") aktiviert. Dennoch muss kritisiert werden, dass er als Beobachter einen Einfluss auf die Art und Weise des Sprechens hatte.

Die Kritik an dieser Studie liegt auf der Hand: VerkäuferInnen bei Saks kommen nicht zwangsläufig aus der Oberschicht, auch wenn sie diese natürlich imitieren können müssen und viel Sprachkontakt mit ihr haben. Dennoch wurden seine Ergebnisse durch viele Studien bestätigt.

Interessant war auch die folgende Beobachtung dieser Studie: Je formaler die Situation, desto mehr rs wurden produziert. Die obere Schicht formte immer mehr rs als die unteren, doch dies mit Ausnahme der upper middle class. Labov bezeichnete dieses Phänomen als Hyperkorrektheit (Hypercorrection). Er meinte, dass diese Gruppe in bestimmten formellen Situationen durch ihre soziale Mobilität mehr rs produziert, als eigentlich vorgesehen sind. Tatsächlich ist die untere Mittelschicht sozial besonders mobil, sie hat Aufstiegsaspirationen. Dadurch werden bestimmte prestigebesetzte Variablen besonders stark realisiert, manchmal stärker als in der Oberschicht.

Zu Labovs Studie gesellten sich viele andere mit ähnlichen Ergebnissen. Das große Problem all dieser frühen Studien waren deren Methoden. Sie alle gaben keine statistischen Kennzahlen (nicht einmal die prozentuelle Produktion von rs, besonders aber kein Signifikanzniveau - siehe unten) an, wie es in der heutigen Wissenschaft Voraussetzung ist. Bei kleinen Stichproben könnten beobachtete Phänomene nämlich auch nur Zufall sein.

In der Soziolinguistik muss unterschieden werden zwischen abhängigen und unabhängigen Variablen, um zu wissen, was Ursache ist und was Wirkung. Meist wird die soziale Schicht als unabhängige Variable betrachtet, denn sie ist gegeben und beeinflusst die abhängige Variable Sprache. Wichtig bei quantitativen Untersuchungen sind:

  • Validität: das, was man vorgibt zu messen, soll auch tatsächlich das sein, was man misst. Ist die Produktion von r ein geeigneter Parameter, um die Schichtzugehörigkeit zu messen? Es gibt verschiedene Tests, um dies herauszufinden.
  • Reliabilität: Wie verlässlich sind die erhobenen Daten? Um die Reliabilität zu erhöhen, könnte beispielsweise eine ähnliche Studie in verschiedenen Städten wiederholt werden.
  • Objektivität: Man muss ein statistisches Signifikanzniveau angeben. Das ist eine Prozentzahl, die angibt, wie hoch die Irrtumswahrscheinlichkeit ist. Jeder der erforschten Zusammenhänge könnte ein Zufall sein. Üblich in der Wissenschaft ist ein Signifikanzniveau von 5%, d.h. die Wahrscheinlichkeit, dass ich durch ein zufälliges Muster in den Daten falsche Schlüsse ziehe, beträgt 5%. Eine statistische Studie kann niemals eine 100%ig sichere Kausalitätskette beweisen. Man kann immer nur von einer starken Korrelation sprechen, nicht aber davon, dass x die kausale Ursache für y ist. Wie bereits oben erwähnt ist dies etwas, was in allen Studien zu Labovs Zeit fehlte.

Ein anderer Versuch dieser Art ist der von Trudgill, welcher das Phänomen des h-dropping in der lower working class untersuchte. In allen Schichten findet man Leute, die h-dropping produzieren und welche, die dies nicht tun. In Österreich wurde dies auch von Sylvia Moosmüller untersucht.

Warum Sprachwandel passiert, ist im Grunde genommen eine Rätsel. Wie bereits erwähnt unterstrich Labov die soziale Mobilität der mittleren Unterschicht, welche versuchte, sich sprachlich an die obere Schicht anzupassen. Labov meinte, dies sei eine externe Motivation für Sprachwandel. Diese Erklärung würde behaupten, dass Sprachwandel nur in Richtung prestigehaftere Sprache geschieht, sie erklärt jedoch vorhandene Beharrungstendenzen nicht.

Milroys Studie[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Milroy führte eine Studie in Belfast durch, in einer Zeit, als es in Belfast eine Werft gab, die der größte Arbeitgeber der Stadt war. Ihre Ausgangshypothese war, dass andere Faktoren als soziale Schichtzugehörigkeit, nämlich Netzwerke, einen Einfluss auf die Wahl der sprachlichen Varietät haben. Sie untersuchte hierzu drei Gruppen von Werftarbeitern aus drei verschiedenen Wohngegenden:

  • Die erste Gruppe war aus einem protestantischen Wohngebiet mit geringer Arbeitslosigkeit. Ihre Annahme war, dass diese Gruppe ein dichtes Netzwerk besaß.
  • Die zweite Gruppe war aus einem protestantischen Wohngebiet mit hoher Arbeitslosigkeit.
  • Die dritte Gruppe war aus einem katholischen Wohngebiet mit hoher Arbeitslosigkeit. Ihre Annahme war, dass diese Gruppe ein weniger dichtes Netzwerk besaß.

Milroy führte die Studie mittels modifizierter teilnehmender Beobachtung durch: Indem sie sich als Freundin einer Freundin in private Kreise einführen ließ, erhielt sie Zugang zu intimen Situationen, durch welche sie Kommunikation in verschiedenen Kontexten beobachten konnte. Sie untersuchte 46 SprecherInnen auf fünf Kriterien, wobei eine Person für jedes Kriterium einen Punkt bekam. Je mehr Punkte eine Person hatte, desto enger war ihr Netzwerk. Das Ergebnis war: je enger ihr Netzwerk war, desto weniger stark war die Standardsprache bei einer Person vertreten.

Die untersuchten Kriterien waren:

  • ob der Sprecher in einem Verein, der mit der Werft zu tun hat, Mitglied war,
  • ob es in unmittelbarer Nachbarschaft Verwandtschaft gab,
  • ob in der unmittelbaren Nachbarschaft jemand denselben Beruf hatte, also auch in der Werft arbeitete,
  • ob mehr als 4 Leute in der Gegend auch denselben Beruf hatten und
  • ob der Sprecher freiwillig in seiner Freizeit mit seinen Arbeitskollegen Zeit verbrachte.

Von den acht linguistischen Variablen, welche untersucht wurden, erwiesen sich fünf als signifikant. Sie signalisierten das, was Milroy als vernacular (Umgangssprache, nicht Standardsprache) bezeichnete. Diese fünf linguistischen Variablen wurden umso häufiger verwendet, je dichter das soziale Netzwerk war.

Frauen verwendeten weniger vernacular norms als Männer, da sie stärker dazu tendieren, sich an der Norm zu orientieren als Männer.

Im ländlichen Raum ist es jedoch umgekehrt, dort verwenden Frauen die konservativste, älteste Sprachform. Dies lässt sich dadurch erklären, dass Frauen in ländlichen Gegenden weniger Sprachkontakt haben, da eher Männer herumkommen.

Eine andere Studie behauptete jedoch das Gegenteil, was zu einer Gegenbewegung zu Milroys Ergebnissen führte. Die Behauptung war: Männer sind eher in Netzwerken verbunden, wodurch sie eher eine Varietät verwenden, die diese Verbundenheit signalisiert. Ein enges Netzwerk ist daher normerhaltend und sogar normverstärkend. Dies gilt auch für Kleidung, Gestik, Interessen, im Grunde genommen für alle sozialen Variablen. Es gibt also einen Faktor der Solidarität des Netzwerkes. Neben dem Sprachwandel gibt es auch die Tendenz des Erhaltens von scheinbar weniger prestigeträchtigeren Varianten. Diese Varianten haben jedoch eventuell ein verdecktes Prestige.

Die variable Regel[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

     X --> Y / A__B
        [a,b,g, ...]

Labov versuchte, Regeln aufzustellen wie: "X wird zu Y im Kontext zwischen A und B mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit", z.B. Alpha: 70 % [-männlich], Beta: 85%[Unterschicht]. An diesen variablen Regeln gab es jedoch massive Kritik, denn Wahrscheinlichkeiten geben keinen Verhaltenshinweis. Man weiß dadurch nicht, was in einem konkreten Fall wirklich passieren wird. Auch kommt eine Prozentzahl nur durch Mittelung über alle Personen zustande, eine Einzelperson wird eine Regel generell immer oder nie anwenden. Sie ist daher nicht variabel in Bezug auf das Individuum. Auch stellt sich die Frage, ob eine solche Regel auf Kompetenz oder Performanz basiert, sind doch manche Ergebnisse nur Artefakte der Untersuchungsmethoden und können damit nicht als für die Person charakteristisch angesehen werden.

Ein Beispiel einer Regel, angewandt auf das r im Auslaut (NY), wäre: r --> 0/_#

Daten werden empirisch gewonnen und sollen dann alle möglichen Fälle reproduzieren. Dies kann nicht wirklich funktionieren, man muss hier mit solchen Aussagen vorsichtig sein. Soziolinguistik kann nicht als Additionslingustik verstanden werden, also als Linguistik mit ein bisschen Soziologie, sie sollte eher gleichberechtigt behandelt werden.

Schlussfolgerungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Datenerhebungsmethoden sind oft eher kreativ als wissenschaftlich fundiert. Aufgrund dieser Studien werden oft mehr Fragen aufgeworfen als beantwortet.

Bewiesen ist: Variation ist ein linguistisches Faktum. Das Überkreuzungsphänomen (Labov’s Hyperkorrektheit), Milroy’s Vernacular norms und der Faktor der Solidarität des Netzwerkes sind wesentliche Gründe für Sprachwandel oder nicht stattfindenden Sprachwandel.

Bernsteins Defizithypothese[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Basil Bernstein kam eigentlich aus der Erziehungswissenschaft. Tatsächlich sind seine Texte sehr wichtig für das Verständnis der Entwicklung der Soziolinguistik. Seine frühen Hypothesen gelten heute jedoch als überholt.

Bernstein verwendete das Konzept der linguistischen Codes und stellte eine Beziehung der sozialen Struktur mit dem Code her. Er geht von der Whorfschen Relativitätshypothese aus, welche besagt, dass Sprache das Weltbild mitbestimmt. Diese wendet Bernstein auf verschiedene soziale Codes innerhalb einer Gesellschaft an (Code der Oberschicht und der Unterschicht). Ein Code ist für ihn ein Sprachrepertoire (Grammatik, Wortschatz). Seine Annahme war, dass es einen grundlegenden Unterschied zwischen dem Unterschicht-Code (restringiert) und dem Mittelschicht-Code (elaboriert) gibt. Seiner Meinung nach ist der Mittelschicht-Code dem Unterschicht-Code überlegen. Grund dafür sieht er in der Sozialisation. Die postulierten Unterschiede sind stark dichotom:

  • verbal vs. nicht verbal
  • universalistisch vs. partikularistisch
  • personenzentriert vs. positional

Das bedeutet, dass "Mittelschichtkinder" Sprache allgemein verwenden, während sich "Unterschichtkinder" stark situationsbezogen äußern. Als Beispiel würden seiner Ansicht nach Mittelschichtkinder auf die Frage "Wo ist das Buch?" antworten: "Das Buch liegt auf dem Tisch". Unterschichtkinder würden sagen: "hier". "Auf dem Tisch" ist hierbei in vielen Kontexten verständlich, verbal, "hier" jedoch positional und statusorientiert, was eine geringere Flexibilität im Rollensystem ermöglicht.

Laut Bernstein sind Kinder der Mittelschicht auch individualisierter, sie sind nicht nur Kind und als solches unter den Eltern, sondern es gibt einen Rollenwechsel durch stärkeren Egozentrismus.

Unterschiedliche Sozialisation führt dieser Theorie nach zu unterschiedlichen Codes. Bernstein machte diese Codes durch linguistische Merkmale fest. Elaborierten Code ordnete er formalen, öffentlichen Situationen, restringierten Code informellen Situationen zu.

Der Schluss von Bernsteins Theorie war, dass die Unterschicht restringiert und damit auch kognitiv defizitär ist. Als Konsequenz aus Bernsteins Hypothese wurden zu dieser Zeit Programme entwickelt, um Unterschicht-Kinder näher an die Mittelschichtnorm heranzubringen. Die sprachliche Fähigkeit ist tatsächlich jedoch kein Ausdruck von allgemeinen kognitiven Fähigkeiten.

Die Kritik an dieser Theorie ließ daher nicht lange auf sich warten. Bernstein übersah, dass jede Form von Sprache situational gebunden ist. Die Aussage "hier" erfüllt genauso ihren Zweck wie "das Buch liegt auf dem Tisch". Normalerweise spricht eine Person auch nicht in ganzen Sätzen, sondern in Äußerungen, und diese sind situationsadäquat. Auch in der Oberschicht kann gesagt werden: "-Wo hast du das hingetan? -Dort unten!" statt "ich habe es in die unterste Schublade getan".

Die Situation ist also ein entscheidendes Kriterium. Aus dieser Kritik heraus entstand die Diskussion bezüglich "Defizithypothese oder Differenzhypothese?". Hier stehen sich die folgenden Oppositionen gegenüber:

  • Linguistischer Relativismus vs. Sozialer Konflikt
  • funktionale Gleichwertigkeit vs. soziale Bewertung

Ein Kritiker von Bernstein war unter anderem Labov. Er untersuchte black american english, um zu beweisen, dass die Sprache der Unterschicht nicht "restringierter" als jene der Oberschicht ist. Tatsächlich war sein Ergebnis, dass das black american english vom System her genauso komplex und systematisch ist wie das white american english.

Ein Beispiel wäre auch der anglozentristische Standpunkt, dass die doppelte Negation unlogisch und damit falsch ist. In romanischen Sprachen gibt es jedoch auch doppelte Negation in der Standardsprache, was auch beweist, dass es einfach nur eine andere Art zu sprechen ist, keine schlechtere.

Diskrepanz Linguistik und Soziologie[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Gesellschaften sind mit wenigen Ausnahmen nicht egalitär, Sprache spielt hierbei vielleicht eine grundlegende Rolle. Der linguistische Relativismus besagt: die Varietäten mögen zwar grammatisch verschieden sein, doch es ist möglich, in jeder Varietät alle Zusammenhänge auszudrücken, die in der täglichen Interaktion nötig sind. Es gibt daher keine Sprache, die aufgrund ihrer grammatikalischen inhärenten Strukuturen kognitiv weniger geeignet wäre als eine andere. Alle Sprachen sind also für kommunikative Zwecke gleich gut ausgestattet. Dies bedeutet in Folge, dass es so etwas wie eine intrinsische, (der Sprache innewohnende) Symmetrie geben muss. Diese These ist in der deskriptiven Linguistik weit verbreitet. Man muss trotzdem festhalten, dass die Sprachentwicklung immer an die Entwicklung der politischen und ökonomischen Macht der Sprecher gebunden ist. Sprecher mit größerer politischer Macht haben stärkere Durchsetzungstendenzen als andere.

Ein Kritikpunkt am sprachlichen Relativismus ist, dass aufgrund dieser intrinsischen Symmetrie Sprachtod und das Entstehen von neuen Varietäten nicht adäquat erfasst werden können. Würde Sprache komplett dem sprachlichen Relativismus folgen, wäre Sprache ein statisches System.

Für das, was beim täglichen Sprechen passiert ist daher die These des sozialen Konfliktes als adäquater empfunden worden. Sprache ist auch ein Teil von sozialer Ungleichheit. Der Gebrauch von bestimmten Varietäten kann zu Benachteiligungen führen, weil mit sprachlichen Differenzierungen immer auch Bewertungen einhergehen. Dies hängt auch damit zusammen, dass bestimmte hieracharchisch hochwertige Positionen in der Gesellschaft sehr begrenzt sind. Kaftka’s Torhüter-Metapher findet hier einen realen Hintergrund - soziale Benachteiligung aufgrund der Verwendung einer bestimmten Varietät ist nachweisbar. Dies gilt auch für Stile, Register und Fachsprachen: man muss bestimmte Fachsprachen verwenden, um nicht ausgeschlossen zu werden, so z.B. in der Wissenschaft, unter Anglern oder Jägern. Weitere Beispiele wären:

  • Dialekt, Soziolekt Pidgin, Lernervarietäten
  • Schichtzugehörigkeit und Schulerfolg (Torhüter)
  • Arbeitsmigranten

Zur soziolinguistischen Erklärung sprachlicher Unterschiede sind zwei Ansätze besonders bekannt: Der sozialpsychologische Ansatz von Hudson, welcher auf dem Konzept der sprachlichen Vorurteile aufbaut und der sprachliche Markt von Bourdieu, welcher auf der marxistischen Theorie des Kapitals aufbaut.

Sozialpsychologischer Ansatz nach Hudson[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Nach Hudson werden sprachliche Unterschiede und Ungleichheiten über primäre und sekundäre (die Schule z.B.) Sozialisation weitergegeben. Dies wurde bereits von Bernstein aufgeworfen. Hudsons Argumentation war, dass subjektive Ungleichheit auf Stereotypen beruht. Aufgrund dieser Vorurteile die Sprache betreffend passieren Bewertungen, wodurch Sprache als ein Maßstab für die Bewertung der Gesellschaftsmitglieder gilt.

Diese Vorurteile sind aus unterschiedlichen Gründen für jede Gesellschaft prägend. Sie ermöglichen es uns, die Komplexität von Alltagssituationen zu vereinfachen und dadurch handlungsfähig zu bleiben. Dieselbe Rolle haben auch Muster und Skripts, all dies sind erworbene Schablonen, mit der wir die komplexe Realität vereinfachen und systematisieren können. Daher geschieht auch Selektion durch Vorurteile, denn wir müssen uns als Individuen Platz in der Gesellschaft schaffen und dies geschieht durch Sprache. Die verwendete Sprache dient daher der Orientierung bei der Einordnung anderer Menschen.

Menschen trachten danach, Ungewissheit möglichst klein und kurz zu halten. Wenn etwas ungewiss ist, entsteht eine Dissonanz zwischen Erwartung und Realität. Die Sprache kann hier dazu dienen, diesen Zeitraum möglichst kurz zu halten. Tatsächlich kann diese kognitive Dissonanz und Ungewissheit durch Prototypen reduziert werden. Wenn eine Person einem Prototypen ähnelt, übertragen wir auf sie auch andere Merkmale des Prototypen. Dies passiert auch aufgrund von sprachlichen Charakteristika. Der Gebrauch sprachlicher Merkmale wird also verwendet, um den sozialen Status schnell einzuschätzen und so kognitive Dissonanz zu reduzieren. Sprache wird so zum Symbol der Gruppenzugehörigkeit.

Man muss hierbei aber auch zwischen offenem und verdecktem Prestige unterscheiden. Wenn ich zu einer bestimmten Gruppe dazugehören möchte, gebe ich dieser den Vortritt gegenüber der offenen Prestigesprache.

Hudson präsentierte mit diesen Gedanken eine soziopsychologische Erklärung für das Verhältnis von sozialer Ungleichheit und Sprache. Er erklärte, dass das möglichst schnelle Ausgleichen von kognitiver Dissonanz ein menschliches Grundbedürfnis ist, um sich zu positionieren und zu orientieren. Auch bei dieser Erklärung besteht jedoch das Problem, dass sie keine Erklärung für das Aufkommen von neuen und das Sterben von alten Varietäten sowie die Umwertung von Varietäten (Wechsel im Prestige) bietet. Auch aus diesem Grund ist der Ansatz von Bourdieu interessant.

Sprachlicher Markt von Bourdieu[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Bourdieu führte zusätzlich zum Orientierungsbedürfnis eine Art Kosten-Nutzen-Verhalten ein. Kosten–Nutzen-Rechnungen gelten nicht nur für materielle Werte. Zum einen fragt man sich vielleicht "Wieviel muss ich arbeiten für einen Sportwagen, ist es den Aufwand wert?". Dasselbe gilt jedoch auch für symbolische Werte. Im Bezug zu Sprache heisst dies, es gibt verschiedene Arten von symbolischem Kapital:

  • soziales Kapital und
  • sprachliches Kapital

Bourdieus grundlegende These ist, dass verschiedene Formen des Kapitals untereinander austauschbar sind. Er meinte, dass sprachliches Kapital gegen soziales oder materielles Kapital eintauschbar ist. Es existiert seiner Ansicht nach auch ein gemeinsamer Markt, auf dem diese unterschiedlichen Arten von Kapital gehandelt werden. Einen bestimmten sprachlichen Code zu beherrschen ist die Voraussetzung für prestigeträchtige Positionen, die mit materiellem und sozialem Kapital verbunden sind.

In diesem Markt sind die verschiedenen Arten von Kapital verhandelbar und austauschbar. Am sprachlichen Markt wird sprachliches Kapital (symbolisch) zu Markte getragen und bewertet. Es erschließen sich dort Möglichkeiten zum Umtausch in andere Formen des Kapitals: Status, Prestige, Geld, oder Ähnliches.

Während in der Betrachtung von Sprache als System Grammatikalität, kommunikative Beziehungen (wie kann über Sprache eine Beziehung hergestellt werden? - Funktion von Sprache), sprachliche Kompetenz und Bedeutung der Rede (=Semantik) wichtig sind, zählen auf dem linguistischen Markt andere Werte. Hier ist nicht Grammatikalität, sondern Akzeptabilität in einer konkreten Kommunikationssituation wichtig, man betrachtet, ob ein bestimmter Dialekt auf einem bestimmten Markt genauso akzeptiert wird wie ein anderer. Dies führt zu Beziehungen zum symbolischen Kapital Macht: der Status, d.h. der Wert der Rede, wird hier gleichzeitig mitverhandelt. Im Prinzip geht es also auch darum, symbolisches Kapital anzuhäufen. Bildung selbst ist auch der Erwerb von symbolischem Kapital.

Da unterschiedliche Sprachen unterschiedlich akzeptiert werden, ist das symbolische Kapital nicht nur abhängig von der Zahl der Sprecher (vergleiche den Stellenwert von Englisch und Mandarin und deren Sprecherzahlen).

Bourdieu ging es mit diesem Modell nicht um die Idealisierung des Systems, sondern um den tatsächlichen Gebrauch von Sprache und welche sozialen Folgen sich daraus ergeben. In seiner Heimat, Frankreich, war die nicht-standardmäßige Sprachverwendung noch viel problematischer als in anderen Ländern. Die legitime Sprache ist ein Mittel, um Kontrolle und Herrschaft durch symbolische Gewalt auszuüben, indem bestimmte Varietäten als wertvoller angesetzt werden als andere. Über den Habitus erwerben wir dieses Wissen über Sprache. Habitus ist hierbei in etwa als eine Art Sozialisation zu verstehen, geht aber viel weiter. Den Habitus erwerben wir nicht nur in früher Kindheit, er wird inkorporiert und drückt sich laut Bourdieus Ansicht auch körperlich durch Dinge wie Kleidung, Körperhaltung oder Distanz beim Sprechen aus.

Auch diejenigen, die nicht an der legitimen Sprache teilnehmen, erkennen sie als legitim an. Dies reicht bis zur Selbststigmatisierung, besonders bei Sprecher/innen von Minderheitensprachen, die oft diese Normen als rechtmäßig ansehen und dadurch sich selbst oder zumindest ihre eigene Sprache als minderwertig ansehen.

Dies lässt sich mit bestimmten Tests untersuchen.

Doch wie geschieht die Produktion und Reproduktion dieser legitimen Sprachen? Welche Prozeduren sind dafür verantwortlich, dass eine Sprachvariante oft auch gegen den Wunsch der Mehrheit vorherrscht? Beobachtungen legen den Schluss nahe, dass es einen einheitlichen sprachlichen Markt geben muss, denn wenn es viele Märkte gäbe, wäre auch die legitime Sprache nur begrenzt gültig. Je größer der einheitliche Markt ist, desto legitimer wird eine Sprache. Wir finden darin auch eine Zugangsregelung, nicht jeder darf so viel Prestige und Status besitzen. Einer dieser Selektionsmechanismen ist die legitime Sprache, andere sind Bildung und finanzielle Möglichkeiten.

Die Folge all dieser Beobachtungen ist, dass Normen aufgedeckt und verändert werden müssen, um dem emanzipatorischen Anspruch von Wissenschaft nachzukommen. Ziel ist die Veränderung in der Gesellschaft in Richtung einer größeren sozialen Gleichheit.

Bourdieus Ansatz bietet einen guten Anschluss an andere soziologische Theorien, dennoch ist kritisch anzumerken: er ist hauptsächlich metaphorisch und musste erst mit Realität angefüllt werden. Die sozialpsychologische Funktion von Differenzierungen fehlt, abgesehen davon ist der Ansatz sehr stark dichotom, denn Bourdieu unterscheidet nur zwischen legtim und illegitim und lässt keine Zwischenstufen zu.

Sprache und Kultur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Gibt es einen Zusammenhang zwischen Sprache und Kultur? Kultur ist hier sehr breit definiert: Man versteht darunter alles was eine Person braucht, um sich in unterschiedlichen Situationen des täglichen Lebens zurechtzufinden. Kultur wird sozial erworben und ist nicht angeboren. Ein Teil des Kulturwissens wäre beispielsweise, was man zu tun hat, wenn man krank ist, z.B. ein Krankenhaus aufzusuchen.

Humboldt war einer der ersten, die sich mit diese Frage auseinandersetzten. Er stellte als erster die These auf, dass Grammatik die Wirklichkeitswahrnehmung beeinflusst. Eine andere wichtige Person war Whorf, der von "language thought and reality" sprach. Er entwickelte das linguistisches Relativitätsprinzip welches er selbst aber nur als principle bezeichnete. Laut Bernstein bestimmt die Art der Sprache die Wirklichkeitswahrnehmung (restringierte Wirklichkeitswahrnehmung). Whorf geht noch weiter, indem er sagt, dass differenziertere Sprache ein differenzierteres Weltbild erlaubt. Auch grammatische Kategorien beeinflussen demnach das Weltbild.

Seine Theorie fußt auf Beobachtungen aus seinem Beruf. Tatsächlich war Whorf erst kein Linguist, sondern Versicherungsmakler. Er vertrieb vor allem Feuerversicherungen und beobachtete in einer Ölraffinerie, wie Arbeiter in der Nähe von Benzinfässern rauchten. Die Arbeiter dachten, es könne nichts passieren, da die Fässer leer waren, tatsächlich sind leere Benzinfässer aber noch wesentlich entzündungsgefährdeter als volle. Die Arbeiter schlossen von der Leere auf die Abwesenheit von Gefahr.

Später beschäftigte sich Whorf auch mit der Sprache der Hopi. Er verglich diese Sprache mit dem, was er Standard Average European Language (SAE) nennt (z.B. englisch, aber auch deutsch).

Er analysierte kontrastiv die Unterschiede zwischen SAE und der Hopi-Sprache. Während SAE sich hauptsächlich in Bezug auf Raum und Zeit orientiert (Tempussystem und Ortspronomina) gibt es im Hopi eine Art Prozessorientierung. Im Hopi ist etwas im Fluss von einem Status in den anderen, die Hopi fragen eher danach, wie sicher es ist, dass Dinge geschehen werden - in ihrer Sprache kann garantiert werden, dass Dinge geschehen sind oder werden.

Das SAE misst Dinge diskret (in abgeschlossenen Einheiten) es zählt beispielsweise Stunden, Tage, Jahre immer in diskreten Einheiten. Im Hopi hingegen sind Zeit und Ort nicht diskret, sondern werden als Kontinuum wahrgenommen. Laut Whorf führen diese Unterschiede auch zu einer unterschiedlichen Weltsicht, denn die Sprache dient als Filter für die Wahrnehmung der Realität. Whorf selbst relativiert das auch.

Was gegen diese Theorie spricht, ist, dass man alles in allen Sprachen ausdrücken kann. Im Hopi mögen zwar Welle und Stein als eine Einheit gesehen werden, die zusammen ein Phänomen ergeben, dieses ist jedoch trotzdem übersetzbar. Es ist bestenfalls so, dass manche Dinge in manchen Sprachen leichter ausdrückbar sind als in anderen. So unterschiedlich kann das Weltbild also auch nicht sein. Zwischen dem Ungarischen und dem österreichischen Deutsch existieren beispielsweise zwar große sprachliche Unterschiede, doch Weltsicht und Kultur weisen eine starke Ähnlichkeit auf. Es gibt Sprachen, die mit dem Ungarischen näher verwandt sind, kulturell jedoch wesentlich größere Unterschiede aufweisen.

Die gültigste Schlussfolgerung aus neueren Untersuchungen ist, dass Whorfs Hypothesen zum Teil übertrieben sind, es aber durchaus einen Zusammenhang zwischen Sprachen und Realitätswahrnehmung gibt.

In allen Sprachen finden wir Taxonomien, also Klassifikationssysteme, die die Welt auf eine gewisse Art und Weise strukturieren. Die Palaung beispielsweise haben eine von uns etwas abweichende Taxonomie für Personalpronomen. Sie unterscheiden unter anderem:

 ich                     du              er/sie                      du+ich
 ich+ein anderer als du  du+ein anderer  er/sie+ein anderer als du   du+ich+andere
 ich+andere ohne dich    du+ andere      er/sie und andere ohne dich

Im deutschen ist unsere Unterscheidung nicht so genau, die unklare Differenzierung durch "wir" führt zu einer Verschleierung, die oft zum unfairen Argumentieren verwendet wird.

Ein anderes Beispiel wären Farbbezeichnungen. Diese sind ein Kontinuum und hängen von der Wellenlänge ab, die auf das Auge trifft. Es ist nicht immer leicht, Farbtermini in andere Sprachen zu übersetzen. Berlin und Kay führten eine Studie dazu durch. Sie definierten basic color terms einer Sprache als solche Farben, die als einzelnes Wort auftreten und keine Unterteilung eines anderen Überbegriffs sind, was zum Beispiel rot, nicht aber kirsch(-rot) oder karmin(-rot) inkludiert. Ein weiteres Kriterium, um als basic color term zu gelten, war, dass die Farbe einen weiten Verwendungsbereich bezüglich Objekten haben musste. Dies schloss Farben wie blond aus, welche unmarkierterweise nur auf Haarfarben beschränkt ist. Ausserdem wurden nur solche Farben inkludiert, welche einen großen Verwendungsbereich die Sprecherzahl betreffend haben, was Farben wie Magenta, die nur in Fachsprachen vorkommen, ausschloss. Sie untersuchten etwa 60 Sprachen und fanden keine Sprache, in der es nicht mindestens zwei Sprachbezeichnungen gab. Diese zwei Bezeichnungen waren in diesem Fall immer Bezeichnungen für schwarz und weiss. Wenn eine dritte hinzukommt, so ist das immer rot.

Tatsächlich gibt es bestimmte Bereiche im Kontinuum des Farbspektrums, die leichter und solche, die schwerer zu differenzieren sind. Im Bereich von blau und grün beispielsweise ist es besonders schwierig, eindeutig zu differenzieren. Diese Unterscheidung ist in Sprachen, in denen es eine Unterscheidung zwischen blau und grün gibt, deutlich einfacher. Ähnlich ist es bei gelb und orange. Die Studie zeigte relativ eindeutig, was als typische Farbe erkannt wird. Dies spricht für eine Prototypenwahrnehmung im Bereich der Farben.

Prototypenwahrnehmung gibt es nicht nur im Bereich der Farben, man spricht von einer Prototypensemantik. Diese geht davon aus, dass unsere Wahrnehmung nicht analytisch („blau ist definiert als Spektrum von x bis y“), sondern von Prototypen ausgeht. Das heisst, dass wir die Bedeutung von Wörtern nicht über Merkmale, sondern über Prototypen speichern. Wir nennen etwas nicht "Vogel", wenn es einen Schnabel hat und fliegen kann, sondern haben die Vorstellung vom Prototypen eines Vogels. Manche Vögel sind diesem Prototypen ähnlicher als andere.

Es gibt schichtspezifische Varietäten, aber auch Arten und Weisen, wie verschiedene Gruppen Sprachen verwenden. Faktoren können Schicht, Geschlecht, oder Alter sein. Aber auch in unterschiedlichen Kulturen gibt es kulturspezifische Arten des Sprechens, was anhand von drei Beispielen dargestellt werden soll.

!kung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die !kung in Südwestafrika sind eine Gesellschaft aus Jägern und Sammlern. Sie sind gesprächsfreudig, wenn es darum geht, Unsicherheit zu reduzieren. Dabei sind die bevorzugten Themen Essen und wer wem etwas schenkt. Es gibt hingegen eine Reihe von Tabus wie Götternamen oder sexuelle Themen, über die nicht gesprochen werden darf. Bestimmte Gesprächstypen um relevante Situationen zu lösen sind u.a. die folgenden drei Sprechtypen: Streit schlichten, Spannung abzubauen (shouting) (in gefährlichen Situationen). Der dritte Sprechtyp ist ein repetitiver tranceähnlicher Singsang, der das Gefühl von sozialer Benachteiligung ausdrückt und beispielsweise zur Anwendung kommt, wenn ein Sprecher findet, dass er bei der Essensaufteilung ungerecht behandelt wurde. Diese Sprechtypen haben also bestimmte soziale Funktionen, die dazu dienen, das soziale Leben zu regeln.

Dieser Aspekt ist nicht unbedingt spezifisch für die !Kung. Auch bei uns gibt es geregelte Situationen, wenn es beispielsweise darum geht, Streitsituationen zu schlichten, so Gerichte. Hier gibt es starre Regeln, wer wann (worüber) reden kann (soll).

Apachen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Apachen aus Süd und Mittelarizona verwenden zur Reduzierung von Unsicherheit die genau gegenteilige Taktik zu den !kung - sie schweigen.

Wo wir versuchen würden, mit Fremden ins Gespräch zu kommen, um Unsicherheit zu reduzieren, ist bei den Apachen Schweigen die adäquate Reaktion. Ebenso in einer neuen Beziehung oder wenn Kinder von der Schule heimkommen, da sie gerade aus einem anderen Kontext kommen und die Fremdheit erst aufgehoben werden muss, bevor wieder geredet werden kann. Auch wird geschwiegen, nachdem Kinder getadelt wurden oder eine Hochzeitswerbung beginnt. Es gilt ausserdem als Ausdruck von Mitgefühl bei Todesfällen und als Antwort auf ambige Situationen.

Schweigen kann damit bei den Apachen gleichzeitig eine Meinungsverschiedenheit, aber auch Konsens oder Unsicherheit bedeuten, sie hat also wesentlich mehr Bedeutungen als im deutschen Sprachraum, wo schweigen nur in den wenigsten Situationen als angemessen empfunden wird.

Antigua[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Das genaue Gegenteil sieht man auf Antigua, einer Insel in der Karibik, wo Sprechen erwartet wird: Man muss hier mit eigenen Themen aufwarten und versuchen, öfter seine Themen anzubringen, auch wenn die anderen nicht gleich reagieren, denn es geht darum, zu zeigen, dass man am Zusammenleben teilnimmt. Im Gegensatz zum deutschsprachigen Raum gelten Unterbrechungen und schnelles Sprechen nicht als unhöflich oder fehl am Platz.

Philippinen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In den Philippinen werden Reden als sozialer Ritus praktiziert. In rituellen Auseinandersetzungen gilt: wer viel aushält beim Trinken, ist sozial erfolgreich. Man wird zum Trinken eingeladen, hier werden Reden geschwungen, während Zuhörer den Redner bestätigen und loben. Wer trotz des Alkoholkonsums am erfolgreichsten redet, wird auch als Führungsperson anerkannt. Bestimmte Konflikte, die bei uns bei Gericht gelöst werden, werden dort durch solche Trinkreden gelöst. Mehr oder weniger lässt sich dieser Ritus auch mit westlichen Cocktail Parties vergleichen.

Ethnographie des Sprechens nach Dell Hymes[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

All diese Untersuchungen zeigen, dass in unterschiedlichen Gesellschaften unterschiedliche Normen von unterschiedlich angemessenen Verhalten existieren. Unsere gesellschaftlichen Normen können daher in anderen Gesellschaften als seltsam gelten. So zum Beispiel unser "Ritus", mit Fremden über das Wetter zu reden, was meist der Herstellung von sozialen Beziehungen und der Reduktion von Unsicherheit dient, nicht tatsächlichem Interesse am Wetter.

Doch wie können solche Beobachtungen systematisiert werden? Welche Kriterien kann man zu Rate ziehen, um sagen zu können, dass sich Kulturen systematisch in bestimmten Bereichen unterscheiden?

Ein Ansatz hierfür aus den 70er Jahren ist die Ethnographie des Sprechens nach Dell Hymes. Auch wenn sich im Laufe der letzten 30 Jahre seit Aufstellung der Theorie viel verändert hat, sind die 8 Faktoren, die Hymes postulierte, um ein Sprechereignis (communicative event) erklären zu können, immer noch gültig. Hymes grenzte sich stark gegenüber Chomsky und dessen Grammatiktheorie ab. Zu Chomskys linguistischer Kompetenz aus System und Grammatik meint Hymes, es gibt nicht nur linguistische, sondern auch kommunikative Kompetenz. Laut Hymes ist diese ist durch die folgenden Faktoren gekennzeichnet:

  • Setting - Jedes kommunikative Ereignis findet in einem bestimmten Setting, d.h. an einem Ort, zu einer Zeit, unter bestimmten Umständen statt, wie z.B. "Donnerstag, 11-13 Uhr, Hörsaal des Instituts". Dieses Setting bestimmt stark, wie kommunikative Ereignisse stattfinden.
  • Participants bezeichnet die SprecherInnen und HörerInnen, welche häufig institutionalisiert an Rollen gebunden sind. Beispielsweise kann eine Person die Rolle des Vortragenden übernehmen, andere die Rollen der Zuhörer oder Rollen wie Arzt, Patient, Eltern, Vater, Kinder, usw. Unterschiedliche Settings werden durch unterschiedliche Teilnehmer spezifiziert.
  • Ends stellt dar, welche Ziele verfolgt werden. Dies wirkt sich auch massiv darauf aus, was und wie gesprochen wird, sei es als Vortragender, Zeuge oder Ankläger.
  • Act sequence bezeichnet die Abfolge der Sprechakte (vgl. Sprechakttheorie). Dazu gehört der Prozess des turn taking, es wird also betrachtet, ob es viele Überlappungen, Unterbrechungen gibt, wie der genaue Wortlaut aussieht. Hinzu kommt eine sequentielle Analyse, die beantwortet, ob bestimmte kommunikative Ereignisse durch bestimmte Wortäußerungsabfolgen geprägt sind. Man wird Unterschiede zwischen einer informellen Konversation und einer Vorlesung oder einer Gerichtsverhandlung finden (in Ausdrücken wie „hallo“ im Gegensatz zu „herzlich willkommen“)
  • Key bezeichnet die Tonart, also die Art und Weise, wie die gesprochenen Worte nonverbal begleitet werden. Beispiele wären Ironie oder Zynismus.
  • Instrumentalities bezeichnen den Kommunikationskanal, der gewählt wird. Dieser kann beispielsweise schriftlich, face to face, eine Videokonferenz oder fernmündlich sein. Hier wird auch beachtet, welche Register eingesetzt werden (Dialekte, Stile, Fachsprachen). Es interessiert hier also, welcher Code und welcher Kanal verwendet werden.
  • Norms of interaction and interpretation bezeichnen die geltenden Sozialnormen, wie die Lautstärke, das Schweigen, das Zurücklächeln oder weitere soziale Erwartungen, die für eine Interaktion gelten.
  • Genre bezeichnet die Gattung (z.B. Drama, Roman, Gedicht), d.h. die Textsorte und den Texttyp. Bestimmte Textsorten und Genres, sind klar abgegrenzt von anderen, so zum Beispiel die Predigt, das Rätsel oder eine Vorlesung.

Aufgabengebiet der Soziolinguistik ist, zu untersuchen, wie all diese Faktoren auf das Sprechen wirken. Es geht hierbei nicht um linguistische Kompetenz nach Chomsky, in einer Sprache grammatisch korrekte Sätze bilden zu können, sondern vielmehr darum, sozial angemessen und kompetent in einem bestimmten Setting angemessen zu kommunizieren: Hymes nennt dies kommunikative Kompetenz.

Wir wählen die Äußerungen, die die sozialen Normen reflektieren, das heisst, die Art und Weise, wie wir sprechen reflektiert die Normen nicht nur, sondern reproduziert sie auch. Es gibt also eine Wechselwirkung. Es ist eine Sache, korrekte Sätze zu bilden, z.B. Subanun zu lernen, aber eine andere Sache, wie man in dieser Gesellschaft auf angemessene Weise ein Getränk bestellt. Wichtige Fragen hierbei sind wo, wann, in welchem Kontext, was für mögliche Konsequenzen das vielleicht in sich birgt, denn vielleicht fordert man nichtswissend jemand anderen dadurch zum Kampftrinken auf...

Gastvortrag: Stil und Stilisierung im Marketing jugendkultureller Events[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Analysiert wurde Werbematerial für das Splash-Festival. Man verwendete dabei die Stiltheorie des "kommunikativen sozialen Stils" nach W. Kallmeyer und A. Strauss. Dies ist ein subjektives Konzept, es achtet darauf, wie die Leute sich selbst zuordnen.

Während die Werbung anfangs noch eher allgemein gehalten ist, kommt es später zu einer Hyperstilisierung, d.h. eine übertriebene Werbeform der Stilisierung.

Ganz allgemein sieht man in dem Material, dass der Slogan "von der Szene, für die Szene" nicht stimmt. Da die Veranstalter eine gewisse Verantwortung haben, sind die Texte so formuliert, dass es neben dem Thema des Feierns auch eine Art Mäßigung gibt. Den Teilnehmern wird indirekt geraten, was sie tun sollen, um nicht zu übertreiben.

Pidgin und Kreolsprachen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Pidginsprachen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Pidgin kommt etymologisch von "Business". Pidginsprachen sind solche, die in kommunikativen Notsituationen zwischen zwei Gruppen von Sprechern, welche keine gemeinsame Sprache besitzen, entstanden sind. Besonders in der imperialistischen Expansionsphase Europas im 14.,15. und 16. Jahrhundert sind Seefahrer mit einheimischen in Kontakt getreten, besonders um Handel zu treiben. Die Sprachen, die sich daraus entwickelt haben, sind Pidginsprachen.

Definitionskriterien für Pidgin:

  • Soziolinguistisches Kriterium: Das Pidgin ist ein Verständigungskompromiss, der niemandes Muttersprache ist.
  • Linguistisches Kriterium: Es gibt eine strukturelle Vereinfachung in Bezug auf Basissprachen.

In Pidginsprachen gibt es nicht nur generell weniger grammatische Kategorien, sondern auch eine Vereinfachung des Vokabulars. Der Wortschatz ist immer reduziert, es gibt eine Tendenz zu Umschreibungen. So wird im indonesischen Pidgin-englisch beispielsweise ein Bart beschrieben mit "grass belong mouth" oder Federn mit "grass belong bird". Es herrscht also eine sehr starke Metaphorik. Ein weiteres Kriterium ist ein vereinfachtes Phoneminventar, welches kleiner als in jeder der beteiligten Sprachen ist sowie ein Flektionsverlust. Im Zuge einer starken syntaktischen Reduktion fehlen Genusunterscheidungen, werden Präpositionen (z.B. belong) vereinheitlicht und stark generalisiert. Es kommt auch zur Tilgung von Artikeln und Konjuktionen. Auch Tempus und Modussystem sind reduziert.

Pidgin setzt sich in der Regel aus 2 Sprachen zusammen (manchmal auch mehr):

  • Terminologie: X-Pidgin-Y
    • Y = dominante Sprache
    • X = zweitwichtigster linguistischer Faktor
  • Beispiel: melanesisches Pidgin-Englisch:
    • Englisch = dominanter Faktor
    • Melanesisch = zweitwichtigster Faktor

Weil Pidgin niemandes Muttersprache ist, hat es einen geringen soziolinguistischen Status. Alle Pidginsprachen sind untereinander auffallend ähnlich – die Frage ist, wie man diese Ähnlichkeit erklärt. Hierzu gibt es drei Entstehungstheorien:

  • Die monogenetische Theorie geht davon aus, dass die europäischen Pidginsprachen, die durch europäischen Kolonialismus entstanden sind, auf eine Sprachform zurückzuführen sind, die bereits von mittelalterlichen Kreuzrittern mit Bewohnern von Palästina (Sabir), gesprochen wurde: Die Lingua Franca (nicht zu verwechseln mit dem Begriff lingua franca, welcher allgemein für eine von vielen gesprochene Sprache, die nicht unbedingt deren Muttersprache ist, verwendet wurde, wie heute das Englische). Dieses Urpidgin entstand als Gemisch aus dem Fränkischen, Einflüssen des Italienischen, Mittelhochdeutschen und den Sprachen des mittleren Orients, vornehmlich Arabisch. Dieser Theorie nach gab es zunächst eine Relexifizierung, die Pidginsprachwörter wurden langsam in die Muttersprache übernommen und tilgten das ursprüngliche Wort. Auch nicht-dominante Sprachen haben häufig Ausdrücke aus dominanten Sprachen übernommen.
  • Die Annahme der Universalientheorie ist, dass alle Sprachen gemeinsame Regeln ("Universalien") besitzen. Das Prinzip der Simplifizierung bewirkt darin, dass syntaktische, lexikalische und phonologische Kategorien vereinfacht werden. So werden z.B. Tempus/Modus mit ähnlichen Partikeln angegeben und treffen in derselben Reihenfolge in allen Pidginsprachen auf.
  • Die Theorie der Parallelentwicklung besagt, dass Pidginsprachen unter ähnlichem historischen und psycholinguistischen Kontext entstanden sind und sich deshalb so ähnlich sind.

Diese drei Theorien sind aber nicht unvereinbar. Pidginsprachen haben eine soziolinguistische Funktion.

Das Problem der Pidginsprachforschung ist, dass es kaum Aufzeichnungen zu Pidginsprachen gibt. Dennoch konnte man Entwicklungsstufen postulieren:

  • Jargon: Besteht aus Ein- und Zweiwortsätzen, es gibt eine Tendenz zu Kopula-Verb-Konstruktionen (z.B. haben + V) und holophrastischen Strukturen (Wörter zusammen als eine Einheit gesehen)
  • Stabilisiertes Pidgin: Die Syntax ist komplexer, es gibt Einbettungen und eine komplexe Phonologie
  • Expandiertes Pidgin: Dieses bietet Hypotaxen, Parataxen, Ableitungsmöglichkeiten in der Wortbildung sowie satzübergreifende Elemente (z.B. Verweis)
  • (Kreolsprache): Diese hat bereits einen anderen Stellenwert als das Pidgin, sie bietet unterschiedliche Register und Stile

Die linguistischen Kriterien für das Pidgin sind:

  • Das Vokabular in Pidginsprachen ist begrenzt, aber kreativ
  • Fehlen von
    • Numerus
    • Genus
    • Kasus
    • Person
    • Modus
    • Deklination
    • Konjugation
  • alle Pidgin-Sprachen sind nach indoeuropäischen Mustern strukturiert

Kreolsprachen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Etymologie criollo (span.) > créole (franz.) > creole (engl.) > kreolisch (deutsch) Der Begriff "Kreolsprache" wurde anfangs nur für die Sprachen auf den französischen Kolonien verwendet. Heute definiert er eine Pidginsprache, die zur Muttersprache einer Kultur wird.

Die linguistischen Kriterien für Kreolsprachen sind:

  • Voll funktionsfähig
  • Alle alltagssprachlichen Register
  • Autonome Konventionen und Normen
  • Ehemalige Pidginsprache
  • Relativ hoher Grad an Standardisierung

Kreolsprachen haben bei ihrer Entstehung einen schlechten Sozialstatus, weil ihre Sprecher es meist haben (z.B. Sklaven).

Wieso machten Sklaven eine Pidginsprache zu ihrer Muttersprache? Meist gab es keine gemeinsame Sprache zwischen den Sklaven, außerdem wollten sie sich wenigstens rudimentär mit den "Herren" verständigen.

Wieso dann nicht gleich die Standardsprache erlernen? Die Sklaven hatten nur wenige sprachliche Vorbilder. Eine Kreolsprache entsteht teilweise innerhalb von zwei Generationen, die erste gibt ihre Pidginsprache an die Kindgeneration weiter (beobachtet am Beispiel des Norwegischen in den USA). Die Kinder wachsen dann nicht bilingual auf, sondern lernen die Kreolsprache aufgrund sozialer Faktoren, die Sprache ist für sie ein soziales Sprungbrett.

Sprachkode[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der Begriff Kode (engl. "code") ist ohne Bewertung und auf jedes System anwendbar, welches zwei oder mehr Personen zur Kommunikation verwenden. Im Zuge einer Interaktion werden verschiedene Codes verwendet, dies wird von verschiedenen Faktoren beeinflusst. Es gibt nur wenige Bereiche, wo Monostilismus gefunden werden kann: bei sehr kleinen Kindern, Lernern einer L2 oder im Falle pathologischer Einschränkungen des Gehirns (Aphasie).

Zwei wesentliche soziolinguistische Faktoren sind Diglossie und Bilinguismus.

Diglossie[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Diglossie entsteht, wenn es zwei oder mehr Codes gibt, die funktional unterschiedlich eingesetzt werden. Sie geht auf Charles Fergusons Arbeit Diglossia (1959) zurück.

 Diglossia is a relatively stable language situation in which, in addition 
 to the primary dialects of the language (which may include a standard or 
 regional standards), there is a very divergent, highly codified (often 
 grammatically more complex) superposed variety, the vehicle of a large and 
 respected body of written literature, either of an earlier period or in another 
 speech community, which is learned largely by formal education and is used for most 
 written and formal purposes but is not used by any sector of the community for 
 ordinary conversation.                                 (Ferguson: 1959: 336) 

Ferguson unterscheidet eine H-Varietät (high) und eine L-Varietät (low), er nennt vier Beispiele für Diglossie:

  • Arabischer Raum: Klassisches Koran-Arabisch (H) vs. arabische Dialekte (L)
  • Schweiz: Schweizer Standarddeutsch (H) vs. "Schwitzerdütsch" = allemannische Dialekte (L)
  • Haiti: Französisch (H) vs. Haitisch-Kreolisch (L)
  • Griechenland: Kathareousa (H) vs. Dimothiki (L)

Früher in Europa gab es überall Diglossie, da das Lateinische als omnipräsente H-Varietät vertreten war. Diglossische Gesellschaften gab es aber zu allen Zeiten.

Kennzeichen der Diglossie:

  • die Situation existiert über längere Zeit, sie ist stabil (!=ephemer)
  • die Sprachen werden funktional, d.h. in verschiedenen Domänen, verwendet
  • Literatur findet man nur in der H-Varietät
  • die H-Varietät wird größtenteils durch Unterricht vermittelt, während die L-Varietät größtenteils durch natürlichen Erwerb gelernt wird. Für die H-Varietät gibt es dadurch auch mehr Wörterbücher.

Zwei Faktoren erhöhen die Wahrscheinlichkeit für die Entstehung einer diglossischen Gesellschaft:

  • Viel Literatur ist in einer bestimmten Sprache vorhanden und in einer anderen nicht.
  • Die Lesekundigkeit ist auf eine kleine Elitegruppe beschränkt, der Analphabetismus ist hoch.

Diglossie kann in bestimmten Fällen abnehmen. Zum Beispiel:

  • Eine solche Möglichkeit ist die Zunahme der Alphabetisierung. Gibt es eine L-Varietät (nur gesprochen) und eine H-Varietät (u.a. für Schriftsprache), kann durch Zunahme der Alphabetisierung (natürlich auch aus anderen Gründen) die L-Varietät auch zu einer Schriftsprache ausgebaut werden. Beispiele: Luthers Bibelübersetzung, Galilei und Dante schrieben auf Italienisch; in diesen Fällen als Deutsch bzw. Italienisch (L-Varietäten) statt Latein (H-Varietät).
  • Der Wunsch, soziale und/oder regionale Barrieren abzubauen kann auch zu einer Abnahme der Diglossie führen. Ein fiktives Beispiel: Nehmen wir an, um in Österreich die Universität zu besuchen muss man eine H-Varietät sprechen, die aber manche Bevölkerungsgruppen kaum verwenden. Um diese Barriere abzubauen, kann die Universität von der H- auf die L-Varietät umsteigen.
  • Das Streben nach einer Nationalsprache. Man könnte hier Katalonien als Beispiel anführen: Zur Zeit der Francodiktatur (bis 1975) wurden die Sprachen der einzelnen Provinzen unterdrückt, nur Kastilisches Spanisch war H-Varietät. Nach dem Tod Francos und dem Übergang zur Diktatur wurde die frühere L-Varietät Katalanisch (quasi als "Nationalsprache") zur H-Varietät ausgebaut.

Die katalanische Sozilinguistik sieht die Diglossie etwas anders. Sie bezeichnet die Auflösung einer diglossischen Situation als "Normalisierung" und zeigt damit auf, dass diglossische Situationen immer Konfliktsituationen sind.

Tatsächlich ist Katalanien autonom, ein Fakt, das in erster Linie durch deren eigene Sprache begründet ist. Seit 1975 wird dort die L-Varietät zu einer H-Varietät umgeformt.

Bilingualismus[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Während Diglossie eine gesellschaftliche Zweisprachigkeit andeutet, bezeichnet Bilinguismus die Mehrsprachigkeit auf individueller Ebene, sprich, welche Sprachen die Menschen einzeln betrachtet sprechen, er betrifft also Individuen oder Teile einer Gesellschaft.

Man könnte, wenn man in Europa lebt, denken, dass Monolingualismus die Norm ist. Zweisprachigkeit haftet hier oft der Aspekt des Neides oder einer Geringschätzung (Migranten) an. Global gesehen ist Multilingualismus jedoch ein sehr weitverbreitetes Phänomen und Einsprachigkeit die Ausnahme.

Ein Beispiel einer Kultur, in welcher Mehrsprachigkeit völlig normal ist, ist das der Tukano im Amazonasgebiet. Sie fördern Multilingualismus institutionell:Männer müssen dort Frauen heiraten, die aus einem Dorf kommen, in welchem eine andere Sprache gesprochen wird. Heiraten von zwei Personen mit gleicher Sprache gilt dort als Inzest. Dadurch wird in jedem Dorf eine Unzahl von Sprachen gesprochen, was zu einer weit verbreiteten Mehrsprachigkeit führt. Die Leute sind sich dort aber dessen kaum bewusst, sie wechseln unbewusst von Code zu Code. In dieser Kultur gibt es keine dominante Sprache.

Auch wenn dort viele Sprachen zusammentreffen, entsteht dort keine Pidginsprache, weil keine "Notsituation" besteht (auch wenn tatsächlich eine überregionale Handelssprache existiert).

Mehrsprachigkeit wird daher eigentlich an den meisten Orten der Welt als die Regel gesehen. Einsprachigkeit entsteht nur durch bizarre Sprachenpolitik. Entstanden ist diese Sprachenpolitik aus der deutschen Romantik. Herder meinte damals, eine Nation müsse auch eine gemeinsame Sprache sprechen. Damals half dies, den Zusammenhalt der einzelnen Länder des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation zu sichern, auch heute sind noch viele Leute dieser Meinung (vgl. Diskussionen über Nationalsprachen in Frankreich, unlängst (2009) gab es auch in Österreich einen Antrag im Nationalrat der FPÖ zum "Schutz" der deutschen Sprache vor zu vielen Fremdeinflüssen).

Es kommt dadurch heute zu einem Paradoxon, einerseits wird politischer Druck auf Einsprachigkeit gemacht, indem natürliche Formen der Zweisprachigkeit unterbunden werden. Andererseits wird Druck gemacht, die Schüler sollten in der Schule möglichst früh neue Sprachen lernen, und der Unterricht von Französisch und Englisch wird verstärkt. Man kann dies nur als eine ungenügende Form von Sprachenpolitik bezeichnen.

Man sieht hier auch wieder, dass verschiedene Sprachen in der Gesellschaft unterschiedlichen Status besitzen. Ein Beispiel hierfür wäre auch Katalanisch, es besitzt mit etwa 8 Millionen Sprechern mehr als Norwegisch, Dänisch, Finnisch oder Kroatisch, wird aber trotzdem als "Minderheitensprache" behandelt.

Codeswitching und Sprachenwandel[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Wann und warum wechseln wir zwischen Codes?

  • Um Solidarität, Nähe auszudrücken
  • Beim Themenwechsel
  • Bei wahrgenommener sozialer Distanz

Codeswitching kann wahrgenommen werden als strukturiertes Phänomen der Sprachenmischung.

Man kann unterscheiden:

  • domänenspezifisches Codeswitching: ähnlich Diglossie
  • situationsspezifisches Codeswitching = Setting von Hymes
  • themenspezifisches Codeswitching: anhand des Themas

Man unterscheidet auch:

  • turnspezifisches Codeswitching - es wird an einer Turn-Taking Grenze geswitcht
  • intraturnspezifisches Codeswitching - eine Person wechselt innerhalb ihrer Sprache den Code, unterteilt in
    • interphrasales Codeswitching - es wird an einer Satzgrenze geswitcht.
    • intraphrasales Codeswitching - es wird innerhalb eines Satzes geswitcht.

Ein Beispiel für intraphrasales Switching wäre: "El man que came ayer wants John comprar a car nuevo." als Beispiel einer Mischung aus englisch und spanisch.

Codeswitching hat folgende Funktionstypen:

  • diskursstrukturierend
  • sozialpsychologisch: zur symbolischen Herstellung von Nähe und Distanz
  • psycholinguistisch: z.B. bei Wortfindungsstörungen

Bezüglich der Beschränkung des Codeswitching gibt es zwei Hypothesen:

  • die Constraints-Hypothese besagt, dass wenn es keine gleiche syntaktische Ordnung gibt, es nicht zu codeswitching kommt. Codeswitching darf demnach auch nur an Wortgrenzen stattfinden. Doch es gibt Evidenz hiergegen, durch Fälle wie "eat-iendo".
  • das Matrix-Rahmen-Prozess-Modell besagt, es gibt einen grammatischen Rahmen, in den das Lexikon eingebettet wird. Beispielsweise wären "una buena excuse" spanische Worte in einer englischen Matrix, da die syntaktische Matrix aus dem englischen stammt (im Spanischen wäre die Stellung nur unter Hervorhebung von "buena" möglich).

Ein Verdienst des Matrix-Rahmen-Prozess-Modells ist es, dass man so Codeswitching mit Sprachwandel/Sprachtod in Zusammenhang bringen kann. Beobachtet man Sprachen über einen längeren Zeitraum, erkennt man ein Vier-Phasen-Szenario:

  • stabil: Codeswitching wird nur bei "cultural gaps" verwendet, also wenn in einem Bereich das Vokabular in der Sprache fehlt.
  • Überlappungen anfänglicher Natur: Duplizierung gewisser Begriffe, damit ist manches in beiden Sprachen vorhanden.
  • massive Grammatikübernahme: die einbettende Sprache wird zur eingebetteten Sprache.
  • Kenntnis der ursprünglichen Matrixsprache geht verloren.

Einer Theorie nach gibt es daher so etwas wie Bilinguismus nicht, mit der Begründung, dass Bilingualismus nur eine solche Übergangsphase des Sprachtods ist. Diese Übergangsphase kann jedoch Jahrhunderte dauern, was wiederum die Sinnhaftigkeit der Theorie in Frage stellt. Man spricht auch vom Drei-Generationen-Zyklus: Die erste Generation ist einsprachig, die zweite zweisprachig und die dritte beherrscht nur die neue Sprache (an Sprecherinnen und Sprechern des Norwegischen in den USA untersucht).

Metaphorisch gesehen kann man mittels Codeswitching auch bewusst den Code ändern, man kann damit zwischen "Wir"-Orientierung und "Sie"-Orientierung switchen, dies sieht man beispielsweise bei Politikern, die Nähe ausdrücken wollen, indem sie auf einen Regionaldialekt switchen. Das Switching dient damit auch der Selbstdarstellung, also wie man sich "rüberbringen" will. Dies ist auch mittels Matched-guise-Tests überprüfbar.