Uni Wien:Einführung in die Soziolinguistik VO (Menz)/Mitschrift/Übungsfragenkatalog

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Das hier sind keine offiziellen Prüfungsfragen, sondern nur Fragen zur Selbstüberprüfung zum Lernen. Sie sollten den ganzen prüfungsrelevanten Stoff abdecken.

  1. Was ist Soziolinguistik? Welche Bereiche unterscheidet man darin und welche vier möglichen Beziehungsmuster gibt es?
  2. Welche empirischen Datenquellen gibt es in der Soziolinguistik und was ist das Beobachterparadoxon?
  3. Was versteht man unter Varietät? Welche Varietäten-Stratifizierungen unterscheidet man und wie sind sie definiert?
  4. Was sind die Methoden der Dialektologie, welche Kritik gibt es an ihnen?
  5. Was ist das Modell der linguistischen Variablen und welche Arten von Variablen beinhaltet es? Was wurde daran kritisiert?
  6. Gibt es einen Zusammenhang zwischen den linguistischen Variablen und sozialer Variation?
  7. Was ist die klassische Fragestellung der Soziolinguistik? Auf welchen Skalen betrachtet man diese Begriffe?
  8. Was waren Labovs Methoden, um formelle und informelle Sprache zu analysieren?
  9. Wie kann man eine Stichprobe aussuchen, sodass sie möglichst gut die untersuchte Bevölkerung beschreibt?
  10. Wie ging Labov bei seiner Studie zu Hyperkorrektheit vor und was waren seine Ergebnisse?
  11. Was ist bei quantitativen Untersuchungen zu beachten und was sind abhängige und was unabhängige Variablen?
  12. Wie wurde Milroys Studie durchgeführt und was waren die Ergebnisse?
  13. Was ist die variable Regel und wieso wurde sie so stark kritisiert?
  14. Was besagte Bernsteins Defizithypothese und was war die Kritik daran?
  15. Was besagt der linguistische Relativismus, was die These des sozialen Konfliktes?
  16. Was ist der sozialpsychologische Ansatz nach Hudson?
  17. Wie funktioniert Bourdieus sprachlicher Markt?
  18. Wie kam es zur Entwicklung der linguistischen Relativitätstheorie?
  19. Wie wird die linguistische Relativitätstheorie illustriert durch:
    1. die Sprache der Palaung?
    2. Berling und Kays Studie zu Farbbezeichnungen?
    3. die !kung?
    4. die Apachen?
    5. die Phillipinen?
  20. Was ist die Ethnographie des Sprechens nach Dell Hymes? Wodurch charakterisieren sich ihre acht Faktoren?
  21. (im SS2009 nicht relevant:) Was waren die Hauptergebnisse der Analyse des Werbematerials der Splash-Festivals?
  22. Was sind Pidginsprachen, wie ist ihre Terminologie zu erklären?
  23. Welche drei Entstehungstheorien für Pidginsprachen kennt man?
  24. Welche vier Entwicklungsstufen des Pidgin gibt es?
  25. Was sind die linguistischen Kriterien für das Pidgin?
  26. Was sind Kreolsprachen und was ihre linguistischen Kriterien? Wieso kam es zur Entwicklung von Kreolsprachen?
  27. Was ist Sprachkode und welche Arten unterscheidet man?
  28. Was ist laut Ferguson Diglossie? Wodurch kennzeichnet sie sich?
  29. Welche Faktoren erhöhen die Wahrscheinlichkeit für eine diglosse Gesellschaft und wann wird Diglossie zu einem gesellschaftlichen Problem? Was sagt die katalanische Soziolinguistik dazu?
  30. Was ist Bilingualismus und wieso kann man nicht von Bilingualismus als Norm sprechen?
  31. Wann wird Codeswitching eingesetzt, welche Arten und Funktionstypen davon gibt es?
  32. Was sind die zwei Hypothesen bezüglich Codeswitching? Wie kann dies mit Sprachwandel und Sprachtod in Verbindung gesetzt werden?

Artikel:

  1. Fishman: Wie definiert Fishman Soziolinguistik, und womit beschäftigt sie sich?
  2. Cameron: Was ist laut Cameron das aktuelle Problem der Soziolinguistik?

Antworten[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Ausarbeitung der Übungsfragen. Ohne Gewähr.

1 Was ist Soziolinguistik? Welche Bereiche unterscheidet man darin und welche vier möglichen Beziehungsmuster gibt es?

Soziolinguistik beschäftigt sich mit der Beziehung von Sprache und Gesellschaft. Der Begriff Gesellschaft bezeichnet dabei eine Gruppe von Personen, die sich zu einem bestimmten Zweck bildet. Sprache ist alles, was eine Gesellschaft spricht. Die möglichen Beziehungsmuster:

  • Gesellschaftliche Faktoren beeinflussen das Sprachverhalten: Reden bestimmte Populationen anders als andere?
  • Das Sprachverhalten beeinflusst soziale Strukturen
  • Gesellschaftliche Faktoren und Sprachverhalten beeinflussen einander gegenseitig: Wie passiert sozialer / sprachlicher Wandel? Gibt es Zusammenhänge?
  • keine Beeinflussung bzw. es ist nicht möglich, sinnvoll darüber zu forschen.

2 Welche empirischen Datenquellen gibt es in der Soziolinguistik und was ist das Beobachterparadoxon?

  • Aufzeichnungen (und deren Transskripte)
  • Befragungen
  • Tagebücher
  • Statistiken (Sprachstandserhebungen)
  • historische Quellen
  • Interviews
  • Experimente
  • Gruppendiskussionen

Daten sollten möglichst unbeobachtet erhoben werden, wie soll das aber ohne Beobachter funktionieren? Das Problem ist, dass z.B. ein Interview keine sehr natürliche Situation ist, d.h. dass man auch nicht unbedingt "natürlich" spricht. An solchen Daten ist man allerdings interessiert. Labov entwickelte einige Methoden, um dieses Problem abzuschwächen:

  • Das Durchbrechen der Interviewsituation: bevor dem eigentlich Interview nahm Labov schon bei small-talk auf, ließ Leute Kinderreime aufsagen und Geschichten erzählen, in denen sie in Lebensgefahr waren, um authentische sprachliche Daten zu bekommen.
  • Gruppensitzungen / -diskussionen (Fokusgruppen): bei Interesse und hitzigen Diskussionen wird Monitoring des eigenen Sprachverhaltens unterbrochen und zu informellerem Gebrauch gewechselt (das war das Ziel).
  • Schnelle, anonyme Interviews (Kaufhäuser)
  • stilistisches Spektrum: man lässt verschiedene Texte vorlesen; bei einer Geschichte ist der Formalitätsgrad beim Vorlesen schwächer als beim Vorlesen von Minimalpaaren.
  • Spracheinstellungstests: u.a. sog. Matched-guise test; hört eine Person verschiedene Varietäten, weiß aber nicht, dass diese von einem einzigen Sprecher gesprochen werden; diese Varietäten sollen dann bewertet werden.
  • Unsystematische Beobachtungen

3 Was versteht man unter Varietät? Welche Varietäten-Stratifizierungen unterscheidet man und wie sind sie definiert?

Der Begriff Varietät bezeichnet ca. eine Variante einer Sprache, das kann zum Beispiel eine regionale Varietät (z.B. Tirol) oder eine "soziale" Varietät. Bei verschiedenen Varietäten gibt es sog. Kookkurenzbeschränkungen, d.h. es können nicht Elemente aus verschiedenen Varietäten durcheinander gemischt werden, z.B.: i komme geht nicht.

Man unterscheidet vier Stratifizierungen (Schichtungen):

  • Dialekt ist eine diatopische (also örtliche) Aufteilung; wo verschiedene Dialekte gesprochen werden, lässt sich gut in einem Dialektatlas darstellen.
  • Soziolekt ist eine diastratische (schichtbezogene) Aufteilung. Das lässt sich vielleicht besser in einer vertikalen Skala darstellen, wobei hier zwischen sog. "niedrigen" und "hohen" Varietäten unterschieden wird.
  • Register ist eine diaphasische Aufteilung. Je nach Kontext, Situation, Teilnehmerinnen, etc. reden wir anders.
  • Stil ist pragmatisch definiert. Hier geht es um Formalität, Aggressivität, etc. im Sprachgebrauch. Mehr oder weniger unabhängig von den anderen Stratifizierungen. Man kann in jeder Varietät den Stil bis zu einem gewissen Grad ändern.

4 Was sind die Methoden der Dialektologie, welche Kritik gibt es an ihnen?

Die Dialektologie und die Dialektgeographie untersuchen die regionalen Unterschiede im Sprachgebrauch. Dabei werden in ländlichen Gegenden Menschen befragt, häufig ältere Personen, damit man möglichst ursprüngliche, authentische Daten erlangt. An die Daten kommt man mit Wortlisten und Benennungstests (also beispielsweise Photos von alten Geräten, die nicht mehr gebräuchlich sind; diese sollen dann benannt werden).

Ändert sich zwischen einem Gebiet und dem nächsten die Verwendung eines sprachlichen Merkmals, wird an dieser Grenze eine sog. Isoglosse angenommen. Mehrere Isoglossen können ein Isoglossenbündel formen, das kann eine Grenze zwischen zwei Sprachen sein.

Kritisiert wird einerseits die Methodik, andererseits die Theorielosigkeit. Die Soziolinguistik möchte Methodik immer mit einer Theorie verbinden, denn reine Datenerhebung ist keine Wissenschaft, das wird sie durch einen theoretischen Rahmen. An der Methodik wird kritisiert, dass die Auswahl der Befragten indirekt geschieht, also über Mittelpersonen. In den ländlichen Gegenden ist die Bevölkerungsdichte recht niedrig, das heißt man befragt sehr wenige Leute und schließlich beobachtet man ausschließlich die regionale Variation, lässt aber andere Faktoren großteils außer acht (Schicht, Bildungsgrad, usw. Lediglich das Alter wird ein bisschen miteinbezogen, aber auch nicht systematisch).

5 Was ist das Modell der linguistischen Variablen und welche Arten von Variablen beinhaltet es? Was wurde daran kritisiert?

Linguistische Variablen sind linguistische Einheiten mit unterschiedlichen Varianten (werden unterschiedlich realisiert). Dieses Konzept wurde von Labov eingeführt. Beispiele: Der Diphtong in Haus ist eine Variable, die als Diphtong oder monophtongiert ausgesprochen werden kann; die Endung -ing im Englischen wird teilweise als [iŋ] und teilweise als [in] ausgesprochen.

Es gibt unterschiedliche Arten von Variablen:

  • Indicators: Diese haben keine Bedeutung. Beispielsweise kann 'r' im Deutschen 'vorne' als alveolares R (rollendes, 'Zungenspitzen-R') oder 'hinten' als uvulares R. Diese Unterscheidung fällt vielleicht nicht einmal auf, wenn doch, sagt sie aber nicht wirklich etwas aus.
  • Markers: Diese drücken soziale Identitäten aus, sind allerdings unbewusst. Dazu gehören (in Wien) zum Beispiel die Unterscheidung zwischen Akkusativ und Dativ (hier sind die Varianten ob man unterscheidet oder nicht) und die Verwendung von Diphtongen oder Monophtongen in Wörtern wie Haus, Maus, heiß, etc.
  • Stereotypes: Diese sagen etwas über die Identität (oder Herkunft) von Sprecherinnen und Sprechern aus und sind bewusste und bekannte Merkmale, die stigmatisierend sein können (Tiroler [kx], Kärtner h statt [x], etc.).

6 Gibt es einen Zusammenhang zwischen linguistischen Variablen und sozialer Variation?

Es gibt insofern einen Zusammenhang zwischen ling. Variablen (LV) und sozialer Variation als bestimmte Gruppen einer Gesellschaft LV unterschiedlich realisieren. Dies ist aber immer Konvention und ist auch Änderungen unterworfen. Eine Untersuchung zu diesem Thema wurde von John Gumperz Ende der 50er Jahre in einem nordindischen Dorf gemacht. Gumperz hat hier das Sprachverhalten einer bestimmten Kaste untersucht, nämlich von Straßenkehrern. Damals entsprachen Kasten ungefähr der sozialen Schicht und der Sprachgebrauch unterschied sich dahingehend. Die Sprache der Straßenkehrer (an sich eine "niedrige", nicht sehr angesehene Varietät) zeigte Ähnlichkeiten zur regionalen Verkehrssprache, die wiederum eine angesehene, "hohe" Varietät war.

Das führte dazu, dass Brahmanen (eine hohe Kaste) nicht mehr die Verkehrssprache verwenden wollten oder konnten, da sie sonst sprachlich den Straßenkehrern entsprochen hätten. Daher gab es bei dieser Gruppe Sprachflucht, ihr Sprachgebrauch änderte sich, weg vom regionalen Dialekt. Die Straßenkehrer wiederum versuchten, sich der hohen Variante anzunähern. Der Differenzherstellung der Brahmanen war die Differenzreduktion der Straßenkehrer entgegengesetzt.

Das Mittel, diese Differenz herzustellen und zu reduzieren, kann die Realisierung von Variablen sein. Die Straßenkehrer können z.B. von einer nicht angesehenen Realisierung einer Variable zu einer angeseheneren wechseln. Diese Sichtweise kann einige Aspekte von Sprachwandel erklären. Dazu kommt, dass die Übergeneralisierung bestimmter Realisierungen von Variablen zur sog. Hyperkorrektur führen kann. Dieser Begriff bezeichnet die Realisierung von Merkmalen in Kontexten, in denen sie eigentlicht nicht vorkommen, weil man danach strebt, den Sprachgebrauch möglichst korrekt zu gestalten.

Allgemein gesagt unterscheidet sich die Realisierung bestimmter Variablen in verschiedenen Schichten (vgl. auch New Yorker -r bei Labov) und diese Diskrepanz kann zu einer gewissen Dynamik führen.

7 Was ist die klassische Fragestellung der Soziolinguistik? Auf welchen Skalen betrachtet man diese Begriffe?

Die Soziolinguistik beschäftigt sich mit der Performanz von Sprecherinnen und Sprechern. D.h., dass es im Gegensatz zur Grammatiktheorie nicht um die allgemeine Sprachfähigkeit des Menschen geht, sondern um die konkrete Umsetzung dieser Sprachfähigkeit. Es werden nicht idealisierte Sprecherinnen und Sprecher untersucht, sondern konkrete Menschen mit ihren konkreten Äußerungen. Es geht daher darum, wer mit wem spricht, wie, warum, in welchen Kontexten, zu welchen Zwecken, etc.

Untersucht man Daten, können diese (u.a.) mit folgenden Skalen eingeteilt werden:

  • Solidaritätsskala: intim - distant; Auf diese Skala wird die soziale Nähe abgebildet, die beispielsweise im Deutschen durch den Gebrauch von Sie oder Du unterschieden werden kann.
  • Statusskala: hoch - niedrig; Bei der Statusskala handelt es sich eher um eine vertikale als eine horizontale Skala, es geht um den Status der gesprochenen Varietät; manche sind angesehener, manche weniger angesehen.
  • Formalitätsskala: formell - informell;
  • Funktionale Skala: Bei der Funktionalen Skala handelt es sich um eine komplexere Skala. Hier geht es um den Unterschied zwischen referentiell und emotional, also ob, wie, und wie dicht Informationen vermittelt werden (ref.) und ob der emotionale Gehalt hoch oder niedrig ist.

8 Was waren Labovs Methoden, um formelle und informelle Sprache zu analysieren?

Labov entwickelte einige Methoden, um an informelle Sprachdaten zu gelangen. Seinem Beobachterparadoxon zufolge ist es ja schwierig, authentische sprachliche Daten zu elizitieren, da der Sprachgebrauch unbeobachtet authentischer ist. Um Daten zu erheben, muss man aber beobachten. Daher hat Labov bei Interviews die Aufnahme schon vor dem eigentlich Interview laufen lassen, und mit Leuten noch "alltäglich" geplaudert, bevor man in die fremde und künstliche Interviewsituation eingestiegen ist.

Um eine Skala von informeller zu formeller (bzw. casual zu careful speech) zu kreieren, hat Labov auch verschiedene Texte erzählen und vorlesen lassen. Wenn Leute von lebensgefährlichen Situationen, in denen sie waren, erzählen, neigen sie eher zu informellem Sprachgebrauch, genauso bei hitzigen Diskussionen. Das Vorlesen von Texten und noch viel mehr das Vorlesen von Minimalpaaren hingegen sind Methoden, um formelle Sprachdaten zu bekommen.

9 Wie kann man eine Stichprobe aussuchen, sodass sie möglichst gut die untersuchte Bevölkerung beschreibt?

Der einfachste Fall einer Stichprobe ist eine zufällige Stichprobe (Sample). Man kann sich auf die Straße stellen und fünfzig Leute nach etwas fragen. So eine Gruppe ist "relativ" zufällig (solange der Ort mehr oder weniger neutral gewählt wird).

Eine etwas komplexere Möglichkeit ist ein gerichtetes Sample. Hier wird ein bestimmter Aspekt ausgewählt, den man beachten möchte. So kann man z.B. die Stichprobe so aufteilen, dass jeweils 50% der Untersuchten Frauen und Männer sind. So sollte man Verzerrung durch das Geschlecht vermeiden. Natürlich können die Kriterien auch anders aussehen.

Bei einem stratifizierten Sample wird aus einer größeren eine kleinere, repräsentative Stichprobe ausgewählt. Stratifiziert man nach Geschlecht, muss man darauf achten, dass in der stratifizierten Stichprobe das Verhältnis von Frauen zu Männern gleich ist wie in der großen Stichprobe.

10 Wie ging Labov bei seiner Studie zu Hyperkorrektheit vor und was waren seine Ergebnisse?

Diese Studie war eine Studie zur Verwendung von r im New Yorker Englisch. Der New Yorker Dialekt ist an sich dafür bekannt, kein präkonsonantisches (wie in forth) und kein auslautendes (wie in floor) r zu realisieren. Allerdings scheint die Verwendung zurückzukehren. Labov wollte dies untersuchen und gleichzeitig beobachten, in welchen sozialen Gruppen das passiert. Eine weitere Hypothese war, dass jüngere Menschen das r häufiger als ältere verwenden (was für eine Änderung sprechen würde).

Er hat dafür in drei verschiedenen Kaufhäusern in New York, die drei unterschiedliche Kundschaftsschichten anziehen, dort arbeitende Personen nach Auskünften gefragt. Eine zusätzliche Annahme ist notwendig, nämlich dass Personen, die in einem Kaufhaus "für" eine bestimmte Schicht arbeiten, ähnlich reden wie diese. Es wurde nach dem Ort bestimmter Produkte gefragt, woraufhin antworten wie "fourth floor" gegeben wurden; bei einem weiteren Nachfragen wurde die Antwort sorgfältiger wiederholt. Die Daten bieten also Information über die Aussprache (Realisierung) der r-Variable in verschiedenen Schichten und in informellerem und formellerem Sprachgebrauch (casual speech bei der ersten Frage, careful speech beim Nachfragen).

Es wurden folgende Ergebnisse erzielt: Die Verwendung von r war höher in oberen Schichten, am höchsten jedoch in einer sozial mobilen Gruppe der Mittelschicht. Labov analysierte das so, dass die häufige Verwendung von r hier das Phänomen der Hyperkorrektur ist. Dabei wird ein Merkmal, in diesem Fall das prestigereiche r, übergeneralisiert und häufiger verwendet als eigentlich nötig.

11 Was ist bei quantitativen Untersuchungen zu beachten und was sind abhängige und was unabhängige Variablen?

Unabhängige und abhängige Variablen sind Aspekte einer Untersuchung, bei denen (wie der Name sagt) eine abhängige von einer unabhängigen Variable beeinflusst wird. So wurde in soziolinguistischen Untersuchungen oft die soziale Schicht als unabhängige Variable (mehr oder weniger fix) angenommen und der Sprachgebrauch als (davon) abhängige Variable betrachtet. Das spiegelt die Sichtweise wider, dass die soziale Schicht die Sprache beeinflusst, aber nicht umgekehrt (vgl. Camerons Artikel, in dem diese Sicht kritisiert wird).

Bei quantitativen Untersuchungen (wie Labovs Studie zu r in New York) müssen verschiedene Aspekte beachtet werden, damit die Studie wissenschaftlich wertvoll ist. Diese sind:

  • Validität: Was man messen will, soll auch tatsächlich das sein, was man misst. Eine weitere Frage ist, ob das, was gemessen wird, geeignet ist, um etwas zu untersuchen, d.h. ob z.B. r in New York geeignet ist, die Schichtzugehörigkeit zu untersuchen.
  • Reliabilität (Verlässlichkeit): Wie verlässlich sind die Daten? Eine Untersuchung sollte wiederholbar sein.
  • Signifikanz: Es muss eine Irrtumswahrscheinlichkeit angegeben werden. Liegt diese bei 5% (ein üblicher Wert), beträgt die Wahrscheinlichkeit durch Zufälle in den Daten falsche Ergebnisse zu erhalten eben 5%.

Korrelationsstudien wurden in dieser Hinsicht kritisiert.

12 Wie wurde Milroys Studie durchgeführt und was waren die Ergebnisse?

Lesley Milroy nahm an, dass nicht unbedingt die Schichtzugehörigkeit ein relevanter Faktor für den Sprachgebrauch ist, sondern Netzwerke, in die man eingegliedert ist. Dazu untersuchte sie in Belfast verschiedene Gruppen von Menschen, nämlich drei Gruppen von Werftarbeitern. Ihre Methode war modifizierte teilnehmende Beobachtung, sie ließ sich als Freundin einer Freundin in die Gruppen einführen und gelangte so in private Situationen. Die drei Gruppen waren protestantische Werftarbeiter mit niedriger Arbeitslosigkeit, solche mit hoher Arbeitslosigkeit und katholische Werftarbeiter, ebenfalls mit hoher Arbeitslosigkeit. Sie vermutete, dass Gruppen mit niedriger Arbeitslosigkeit ein dichteres Netzwerk aufwiesen.

46 Personen wurden auf 5 Kriterien untersucht und 8 linguistische Variablen untersucht. Die fünf Kriterien waren:

  • Zugehörigkeit zu einem Verein
  • Berufe der unmittelbaren Nachbarn (Werft)
  • Verwandtschaft in der Nachbarschaft
  • Berufe der Personen in der Gegend (mehr als 4 mit demselben Beruf)
  • freiwillige Freizeitgestaltung mit anderen Arbeitern

Von 8 untersuchten Variablen erwiesen sich fünf als markant, diese konstituieren ein Vernacular, eine Umgangssprache. Milroy fand heraus, dass dieses ausgeprägt ist, wenn das soziale Netz enger ist. Frauen seien überdies näher am Standard, also entfernter vom Vernacular.

Andere Studien kamen zu dem Ergebnis, dass Männer allgemein eher in Gruppen eingebettet sind. Ein enges Netzwerk ist normerhaltend. Dabei zeigt die Norm (ein Teil davon ist das Vernacular) die Zugehörigkeit zu einer Gruppe, in der Sprache, aber auch in Kleidung, Interessen, etc. So ein Vernacular kann auch geringes Prestige aufweisen, zu dem man sich aus Solidarität dennoch bekennt. Das könnte erklären, warum prestigeärmere Varianten bestehen bleiben.

13 Was ist die variable Regel und wieso wurde sie so stark kritisiert?

Die Variable Regel (Labov) ist eine Regel der folgenden Form:

         X -> Y / A _ B
              [α, β, γ, ...]

Eine Regel dieser Form bedeutet so viel wie:

         X wird zu Y im Kontext von A (davor) und B (danach)

Dabei sind α, β, etc. Wahrscheinlichkeiten, die ausdrücken, dass diese Regel vollzogen wird, wenn ein Faktor mit der angegeben Wahrscheinlichkeit gilt. Also:

         α = 70% [männl.], β = 85% [Unterschicht]
         X -> Y / A _ B
         
         X wird bei männlichen Sprechern mit siebzigprozentier Wahrscheinlichkeit
         zu Y im Kontext A (davor) und B (danach)

Dieser Ansatz wurde viel kritisiert:

  • Die Wahrscheinlichkeiten geben keinen Verhaltenshinweis für eine bestimmte Person in einer bestimmten Situation.
  • Was passiert bei Individuen? Die Prozentangaben beziehen sich ja auf eine größere Menge an Menschen, d.h. eine Person verhält sich immer gleich, die Wahrscheinlichkeiten sind normiert. Die variablen Regeln sind also nicht variabel in bezug auf eine Person.
  • Kompetenz oder Performanz?

14 Was besagte Bernsteins Defizithypothese und was war die Kritik daran?

Bernsteins Defizithypothese ist im Kontext der Sapir-Whorf-Hypothese zu verstehen. Letztere besagt, dass die Sprache das Weltbild ihrer Sprecherinnen und Sprecher stark prägt. Bernstein brachte das mit dem Konzept des linguistischen Codes in Verbindung. Ein Code ist in dieser Hinsicht ein Varietät. Bernstein unterschied stark dichotomisch zwei Codes: einerseits der elaborierte Code, andererseits der restringierte Code. Der elaborierte Code wird eher von höheren Schichten gesprochen, der restringierte Code von niedrigeren Schichten. Die beiden Codes unterscheiden sich laut Bernstein so:

    Elaborierter Code    |    Restringierter Code
                         |
    verbal               |    non-verbal
    universalistisch     |    partikularistisch
    personenzentriert    |    positional
                         |
    eher formal          |    eher informell

Universalistisch gegenüber partikaluristisch bedeutet hier, dass Sprechen im elaborierten Code allgemeineren Bezug hat, während partikularistisches Sprechen stärker Situationsbezogen ist. Bernstein meinte, dass Kinder auf die Frage "Wo ist das Buch?" (nach einem Buch, das auf einem Tisch liegt) im elaborierten Code antworten würden "Das Buch liegt auf dem Tisch", während im restringierten Code gezeigt werden und "Hier!" gesagt werden würde.

Zu den Codes komme man durch die Sozialisierung, und durch den Verweis auf die Sapir-Whorf-Hypothese stellt diese Theorie Bernsteins eine andere Sichtweise auf das Verhältnis zwischen Sprache und Gesellschaft dar, als bsp. Milroy und Labov. Denn wenn die Sprache das Weltbild prägt, dann sind Kinder, die nur den restringierten Code lernen, benachteiligt, sie haben also ein Defizit gegenüber dem elaborierten Code. Dieses Defizit kann zu schlechterem Schulerfolg führen. Die andere Sichtweise liegt darin, dass Milroy und Labov die Gesellschaft als unabhängige Variable annahmen, während bei Bernstein der soziale Erfolg auch von den sprachlichen Strukturen abhängt.

Problematisch ist diese Theorie aus mehreren Gründen. Prinzipiell ist jede Art von Sprachgebrauch auf die Situation bezogen, Kommunikation daher in der Regel situationsadäquat, vgl. "Das Buch liegt auf dem Tisch." vs. "Hier.". In der gegebenen Situation sind beide Antworten akzeptabel. Es begann eine Debatte über das Verhältnis zwischen Sprache und Gesellschaft und ob die expliziten Wertungen (elaboriert vs. restringiert : positiv vs. negativ) eine Grundlage haben.

Labovs berühmte Untersuchung zum Englisch New Yorker Afroamerikaner zeigte, dass es keineswegs Defizite gibt, sondern dass die Strukturen in diesem Vernacular ebenfalls elaboriert sind. Labov prägte die Differenzhypothese statt Bernsteins Defizithypothese. Demnach würden sich Sprachen unterscheiden, unterschiedliche Varietäten sind aber nicht besser oder schlechter.

15 Was besagt der linguistische Relativismus, was die These des sozialen Konfliktes?

In der Sprache sind Konzepte wie Macht und Konflikt nicht ganz so bedeutend wie in der Soziologie, im Sinn, dass keine Sprache schöner oder besser ist, als eine andere. Es gibt also keine linguistisch motivierten Hierarchien, jede Sprache ist relativ zu ihren Zwecken gleich brauchbar. Manchmal wird das als intrinsische Symmetrie in Sprachen bezeichnet.

Das kann aber nicht hundertprozentig der Fall sein, denn es gibt das Problem, dass unser Sprachgebrauch im Zusammenhang mit unserem sozialen Erfolg eine Rolle spielt. Bestimmte Varietäten sind für bestimmte Ereignisse notwendig, das Studium verlangt bsp. ein gewisses Level an Standarddeutsch. Im weiteren Sinne ist das Überleben einer Sprache auch von politischen Faktoren abhängig.

Es gibt also zwei Konzepte, die in einem leichten Widerspruch zueinander sind, der linguistische Relativismus bzw. die funktionale Gleichwertigkeit von Sprachen und die soziale Bewertung bestimmter Varietäten bzw. sozialer Konflikt. Im Alltag ist die Sichtweise des sozialen Konflikts vielleicht passender: Wir wissen alle, dass Varietäten unterschiedlich bewertet werden, wir wissen genau so, dass kommunikative Kompetenz notwendig ist, um bestimmten sozialen Erfolg zu erreichen. In bestimmten Gruppen ist es noch dazu notwendig, Gruppen- oder Fachsprachen zu können.

Um diese Diskrepanz theoretisch fassen zu können, gibt es (mind.) zwei Varianten, einerseits Hudsons sozialpsychologischen Ansatz, andererseits Bourdieus Theorie vom sprachlichen Markt.

16 Was ist der sozialpsychologische Ansatz nach Hudson?

Es sind zwar alle Sprachen funktional gleichwertig, aber es gibt Ungleichheiten durch die erste und zweite Sozialisation, Varietäten haben Prestige. Dieses baut laut Hudson auf sprachlichen Vorurteilen auf, die wir automatisch bilden. Sprache werde verwendet, um sich in einer multidimensionalen Welt möglichst schnell orientieren zu können; wir orientieren uns also auch an der Sprache. Das kann zu Vorurteilen (in Hinblick auf die Sprecherinnen und Sprecher einer bestimmten Varietät) führen. Man mache das um kognitive Dissonanz zu minimieren, denn der Mensch halte es nicht sehr gut aus, in Unsicherheit zu leben.

Varietäten einzuordnen reduziert daher die Komplexität von Alltagssituationen. Die daraus resultierenden Urteile werden einerseits bewertet, andererseits auch benützt, um Menschen prototypischen Gruppen zuzuordnen (das passiert nicht nur durch Sprache: hier kann es große Unterschiede zwischen Erwartung und Realität geben).

Durch die Bewertung einzelner Gruppen kommt es zu Prestige. Dabei unterscheidet Hudson offenes und verdecktes Prestige. Einer Gruppe mit niedrigem Prestige gehören auch Menschen an, sie verfügt somit über verdecktes Prestige, das stark bei der Gruppenzugehörigkeit von Menschen relevant ist.

Dies ist ein soziopsychologischer Ansatz, der die Problematik und das Verhältnis von sozialen und sprachlichen Unterschieden ganz gut erklärt, nämlich dass das Einordnen und Bewerten mithilfe von Prototypen unsere kognitive Dissonanz reduziert. Schwierig ist für diese Theorie allerdings die Erklärung von Sprachwandel, der Neubewertung bzw. Umwertung von Varietäten.

17 Wie funktioniert Bourdieus sprachlicher Markt?

Pierre Bourdieus Theorie vom sprachlichen Markt ist ein dynamischeres Konzept als Hudsons Sozialpsychologischer Ansatz. Bourdieus Analyse ist eine materialistische Metapher. Sprachgebrauch ist mit Kosten verbunden, wir verfügen über Kapital, nämlich symbolisches Kapital: Das ist soziales und sprachliches Kapital (z.B. das Beherrschen einer Varietät), das "recht leicht" in finanzielles Kapital umgewandelt werden kann. Varietäten werden von einem gemeinsamen Markt bewertet.

Um prestigereiche Positionen zu erhalten, die mit finanziellem Kapital verbunden sind, muss man über viel bei sozialem und sprachlichem Kapital verfügen, dazu gehört neben bestimmten Varietäten bsp. Bildung.

Auf dem gemeinsamen Markt geht es um die Akezptabilität der Sprache, nicht so sehr um die Grammatikalität. Nicht jeder grammatische Satz ist immer akzeptabel. Weiters gibt es auf dem Markt eine legitime Sprache, eine hohe, akzeptierte Varietät mit hohem Prestige. Weiters spielen am Markt auch Beziehungen symbolischer Macht, der Wert der Rede (im Gegensatz zur Bedeutung der Rede), sowie symbolisches Kapital als kommunikative Kompetenz eine Rolle.

Die legitime Sprache ist nicht immer gleichartig; in Großbritannien ist die sprachliche Variation im Parlament mit Sicherheit geringer als in Österreich, wo regionale Varietäten durchaus akzeptiert sind.

Damit ein Markt funktionieren kann bedarf es folgender Faktoren:

  • Vereinheitlichung (der Bewertungen): Die Bewertungen der unterschiedlichen Varietäten werden sogar von Sprecherinnen und Sprechern "schlecht bewerteter" Varietäten gegen ihren Willen mitgetragen.
  • Zugangsregulierung: Studiengebühren auf der Universität sind ein Beispiel. Gibt es keine ausgleichenden sozialen Maßnahmen, ermöglichen Studiengebühren nur jenen das Studium, die über so viel finanzielles Kapital verfügen. Auf andere Aspekte des Lebens ausgedehnt ist klar, dass analog oft sprachliches Kapital notwendig ist, um in bestimmte Bereiche zu gelangen.
  • Habitus: Unsere Sprache (und andere Aspekte des gesellschaftlichen Verhaltens) erlernen wir über den Habitus. Dazu gehört expressives Verhalten, die sprachliche Fähigkeit, Sätze zu produzieren und Sätze in einer bestimmten Situation adäquat einzusetzen. Wir lernen mit dem Habitus aber auch die Regulierungen des Marktes zu akzeptieren und seine Bewertungen anzunehmen.

18 Wie kam es zur Entwicklung der linguistischen Relativitätstheorie?

Wilhelm von Humboldt behauptete im 19. Jahrhundert, dass die Vielfalt an Sprachen verschiedene Weltbilder prägt, d.h. dass Sprache die Wahrnehmung der Realität Filtert. Das würde heißen, dass unterschiedliche Grammatik zu einer unterschiedlichen Weltsicht und Kultur führt (stark deterministische Sichtweise). In dieser Form ist das sicher nicht haltbar, denn allein Ungarisch und Deutsch sind von der Grammatik her sehr unterschiedlich, verfügen aber über ähnliche Kultur. Außerdem leben Völker, deren Sprachen mit dem Ungarischen verwandt sind, in durchaus anderen Kulturen. Oder: die Kultur in Spanien unterscheidet sich von Kulturen in Südamerika, obwohl die Sprache sehr ähnlich ist.

Die linguistische Relativitätstheorie ist auch als Sapir-Whorf-Hypothese bekannt, benannt nach Edward Sapir und Benjamin Whorf. Whorf war ursprünglich kein Linguist, kam aber durch verschiedene Beobachtungen zu dieser Theorie. Er sah, wie neben leeren Benzinfässern geraucht wurde, was immer noch gefährlich ist, da auch die übrig gebliebenen Gase leicht entflammbar sind. Auf die Frage, warum sie da rauchen, antworteten die Arbeiter, dass die Fässer ja leer seien. Das führte Whorf dazu, anzunehmen dass der Ausdruck leer in gewisser Weise mit ungefährlich zusammenhängt.

Bei seiner Untersuchung der Sprache der Hopiindianer in Nordamerika glaubte Whorf, mehr Bestätigung für seine Hypothese gefunden zu haben. Er analyiserte Unterschiede zwischen SAE (Standard Average European; im weitesten Sinne europäische flektierende Sprachen, also z.B. Englisch, Deutsch) und Hopi. Während sich SAE an Zeit und Raum orientiert, sah Whorf im Hopi eher eine Orientierung an Prozessen; gegenüber dem diskreten in SAE (es gibt Einheiten, die zählbar sind) habe das Hopi eher Kontinua.

Kritik an dieser Sicht ist, dass alle Sprachen ineinander übersetzbar sind, auch im Deutschen gibt es Ausdrücke, die nicht diskret sind, vgl. immer wieder, unlängst, damals, bald, usw. Auch das Deutsche kann nicht nur ausdrücken, dass etwas passiert ist, passiert oder passieren wird, sondern ebenfalls die Sicherheit davon angeben (ein weiterer Aspekt, den Whorf dem Hopi zuschrieb). Whorfs Hypothese ist in ihrer starken (deterministischen Form) sicher übertrieben, einen gewissen Zusammenhang zwischen Sprache und Kultur gibt es aber durchaus; so ist es sicherlich in manchen Sprachen leichter, gewisse Sachverhalte auszudrücken. Das geht allerdings nicht so weit, wie von Whorf behauptet.

19 Wie wird die linguistische Relativitätstheorie illustriert durch?:

  • Die Sprache der Palaung?

Das Palaung ist eine Sprache, die über Singular, Dual und Plural verfügt. Das Pronominalsystem ist ausgeprägter als im Deutschen, es können hier leichter komplexere Gruppen angegeben werden; jede der folgenden Bezeichnungen hat ein eigenes Pronomen:

        Sg.          Dual                                Plural
        ---------------------------------------------------------------------------------
        ich          du und ich                          du und ich und andere
                     ich und jemand, aber nicht du       ich und andere, aber nicht du
        
        du           du und jemand                       du und andere
        
        er/sie       er/sie und jemand, aber nicht du    er/sie und andere, aber nicht du

Daraus lässt sich aber nicht (im Sinne der Sapir-Whorf-Hypothese) schließen, dass das Palaung viel mehr Wert auf Gesellschaft legt, als bsp. das Deutsche. Alle diese Relationen lassen sich im Deutschen ausdrücken, nur vielleicht manchmal länger.

  • Berlin und Kays Studie zu Farbbezeichnungen?

Berlin und Kay zeigten Ende der 1960er, dass die Einteilung von Farbwörtern in Sprachen alles andere als willkürlich ist. Man kann eine strenge Reihenfolge feststellen, die für alle Sprachen gilt. Berlin und Kay akzeptierten als Farbwörter nur einzelne Wörter ohne Unterteilungen (also ohne etwas wie Zinnoberrot) und mit weitem Verwendungsbereich (also ohne blond).

Sie fanden heraus, dass das Vorkommen von Farbwörtern auf einer strengen Hierarchie beruht. Hat eine Sprache zwei Farbwörter sind dies schwarz und weiß (überall vorgekommen), danach kommt rot, danach grün oder gelb, danach blau, danach braun, etc. Laut Berlin und Kay gibt es demnach keine Sprache, die ein Farbwort für braun, aber nicht für rot hat. Berlin und Kay argumentierten darüber hinaus für eine Prototypenwahrnehmung bei Farben (ähnlich der Prototypensemantik, ein Spatz ist für uns ein typischerer Vogel als ein Pinguin; ein helles Gelb ist vielleicht ein typischeres Gelb als ein dunkles).

  • Die !Kung?

Sprechen gerne, um Unsicherheit zu überbrücken, dabei sind die typischen Themen Essen und Schenken, es gibt aber Tabuthemen wie Götternamen und Sexualität.

  • Die Apachen?

Bei Unsicherheit (und anderen sozialen Ereignissen) wird bei den Apachen eher geschwiegen, im Vergleich zu den !Kung also in der gleichen Situation ein anderes sprachliches Verhalten verwendet. Das ist vielleicht ein Argument gegen die Sapir-Whorf-Hypothese.

  • Subanun (auf den Phillipinen)?

Bei den Subanun hat derjenige ein sehr hohes Ansehen, der im betrunkenen Zustand die besten und längsten Reden halten kann.

20 Was ist die Ethnographie des Sprechens nach Dell Hymes? Wodurch charakterisieren sich ihre acht Faktoren?

Dell Hymes' Theorie bietet Parameter, mit denen man Varianten des Sprechens definieren und vergleichen kann. 1974 veröffentlichte er Ethnography of Communication, einen ethnographischen Rahmen, die Faktoren für ein Sprechereignis. Wichtig dabei ist das Konzept der kommunikativen Kompetenz (im Gegensatz zur rein grammatischen Kompetenz in der Grammatiktheorie). Er fand acht Faktoren, deren Anfangsbuchstaben praktischerweise das Wort SPEAKING ergeben.

  • S: Setting / scene. Zeit und Ort.
  • P: Participants. Wer nimmt am Gespräch teil?
  • E: Ends. Zweck(e) der Sprechakts, das wurde z.B. in der Funktionalen Pragmatik von Ehlich und Rehbein thematisiert. Auch die Erwartungen spielen hier eine Rolle.
  • A: Act sequence. Die Abfolge der Sprechakte, hier sind auch die Sprechakttheorie und die Conversation Analysis mit dem turn-Apparat zu erwähnen. Es geht nicht nur um die Folge einzelner Sprechakte, sondern auch die Abfolge von "Sprechaktgruppen".
  • K: Key. Die "Tonart". Wie sagt man etwas, zynisch oder ernsthaft, ironisch, traurig, etc.?
  • I: Instrumentalities. Die "Mittel" der Kommunikation, also die Wahl des Mediums.
  • N: Norms of interaction and interpretation. Lautstärke, Blickkontakt, Schweigen, etc.
  • G: Genre. Der Texttyp, die Textsorte bzw. Textgattung. Eine Predigt, eine Vorlesung, sind unterschiedliche Textsorten.

22 Was sind Pidginsprachen, wie ist ihre Terminologie zu erklären?

Das Wort 'Pidgin' entwickelte sich aus engl. business. Eine Pidginsprache ist eine grammatikalisch und lexikalisch vereinfachte Sprache, die aus einer kommunikativen Notsituation heraus resultiert. So eine kommunikative Notsituation kann das Zusammentreffen von mehreren Menschen sein, die keine gemeinsame Sprache sprechen, aber miteinander kommunizieren müssen. Dabei kann ein Pidgin entstehen.

Es ist strukturell in bezug auf die Sprachen, aus denen es entsteht vereinfacht; die Basissprache (Y) und der zweitwichtigste Einfluss (X) werden im Namen des Pidgin berücksichtigt: X Pidgin-Y (z.B. melanesisches Pidgin-Englisch).

23 Welche drei Entstehungstheorien für Pidginsprachen kennt man?

1. Monogenetische Theorie

Diese besagt, dass alle Pidgins aus einem gemeinsamen Urpidgin, nämlich einer lingua franca im Mittelalter entstanden sind. Es sei um 1000 n. Chr. bei den Kreuzzügen entstanden, war zunächst portugiesisch basiert, wurde aber später von Holländern, Franzosen und Briten weiterverbreitet. Ein Problem dieser Theorie ist, dass es keine Aufzeichnungen gibt. (Und andere!)

2. Universalientheorie

Das Hypothese einer Universalgrammatik in der Grammatiktheorie besagt, dass alle Sprachen auf einer gemeinsamen Grammatik, eben die UG, aufbaut. Das bedeutet, dass alle Sprachen sich nur insofern unterscheiden können, wie innerhalb der UG erlaubt. Die UG bestimmt gewissermaßen durch ihre Regeln, dass die Vereinfachungen in allen Pidgins auf einer gemeinsamen Reihenfolge basiert: zunächst die Morphologie, dann der Wortschatz, dann das phonologische System.

3. Theorie der Parallelentwicklung

Diese Theorie besagt, dass sich die Entwicklung von Pidginsprachen durch soziolinguistische/psycholinguistische Notsituationen immer ähnlich verhält; diese Theorie passt ganz gut zu 2.

24 Welche vier Entwicklungsstufen des Pidgin gibt es?

Die Kontaktsituationen, in denen Pidgins entstehen sind immer recht kurz; es gibt zwei Möglichkeiten, was passiert. Entweder die Sprache entwickelt sich weiter (siehe Entwicklungsstufen), oder es wird eine Ersatzsprache gefunden. Die vier Entwicklungsstufen sind:

1. Jargon: 1-2 Wortsätze, Kopula-Verb-Konstruktionen, holophrastische Strukturen

2. Stabilisiertes Pidgin: Syntax komplexer, erste Einbettungen, komplexere Phonologie

3. Expandiertes Pidgin: Syntax mit Haupt- und Nebensätzen, Ableitungsmöglichkeiten in der Wortbildung, Deixis

4. Kreolsprache: Von Kindern als Muttersprache gelernt, voll funktionsfähige natürliche Sprache

25 Was sind die linguistischen Kriterien für das Pidgin?

Pidgins haben begrenztes Vokabular, aber sehr vitale Wortbildung. Das heißt, dass Ausdrücke, für die es keinen Begriff gibt, neu gebildet werden. Beispiele (weiß nicht aus welchem Pidgin):

grass belong head `Haare' grass belong mouth `Bart'

house belong letter `Kuvert' stick belong water `Parfum'

Weiters sind Numerus, Genus, Kasus, Person, Modus, Deklinationen, Konjunktionen stark vereinfacht. Alle Pidgins sind aber natürlich linguistisch strukturiert, die meisten (alle außer das HOPI) Pidgins entsprechen indogermanischem Muster, was ihre Wortklassen angeht, sie haben auch oft SVO- oder SOV-Wortordnung.

26 Was sind Kreolsprachen und was ihre linguistischen Kriterien? Wieso kam es zur Entwicklung von Kreolsprachen?

Eine Kreolsprache entsteht, wenn ein Pidgin zur Muttersprache einer Gesellschaft wird. Kreolsprachen sind voll funktionsfähig, haben alle alltagssprachlichen Register, autonome Konventionen und Normen und zeigen einen relativ hohen Grad an Standardisierung. Kreolisierung passiert innerhalb von zwei Generationen.

Kreolsprachen haben eine soziale Sprungbrettfunktion, sie sind sozial angesehener als ein Pidgin. Wie bei Pidginsprachen werden sie als X Kreol-Y bezeichnet, wobei Y für die dominanteste und X für die zweitdominanteste Sprache steht (vgl. melanesisches Pidgin-Englisch).

Warum wird nicht die dominante Sprache selbst erlernt? Es ist oft nicht genug Input dieser Sprache da, dennoch ist die Orientierung an der Y Sprache ein Sprungbrett, eine soziale Chance.

Weiter Kategorien zur Beschreibung von Kreolsprachen sind:

- Standardisierung - Geschichtlichkeit - Autonomie - Vitalität

27 Was ist Sprachcode und welche Arten unterscheidet man?


28 Was ist laut Ferguson Diglossie? Wodurch kennzeichnet sie sich? Diglossie = griech. für Zweisprachigkeit (meint gesellschaftliche, sozale, soziologische Mehrsprachigkeit und Phänomene; funktionale Trennung von 2 oder mehreren Varietäten.

Diglossie heißt es laut Ferguson nur in stabiler Situation (Kritik: diglossische Situationen sind nur relativ stabil); wenn es funktional unterschiedliche Varietäten gibt (high-low-Varietät; H-Varietät ist lt. Ferguson komplexer; Kritik: schwer messbar); wenn Literatur vorhanden ist; wenn unterschiedlicher Erwerb stattgefunden hat.

Ferguson untersuchte Diglossie in diesen Sprachen: Arabisch (high: klassisches Arabisch vs. low: Dialekte z.B. syrisch), Griechisch (high: Katarheusa, low: Dimotiki), Schweizerdeutsch (high: Schweizerdeutsch, low: Standarddeutsch ab 6.Lbj / Schuleintritt), Creolisch (über Pidgin entwickelte Sprache).

Ferguson ging von genetischer Verwandschaft zwischen H- und L-Varietät aus = Innendiglossie. Im Beispiel der diglossischen Situation der Kärntner Slowenen oder Burgenlandkroaten ist keine gemeinsame genetische Verwandschaft der zwei gesprochenen Sprachen vorhanden = Außendiglossie.

29 Welche Faktoren erhöhen die Wahrscheinlichkeit für eine diglosse Gesellschaft und wann wird Diglossie zu einem gesellschaftlichen Problem? Was sagt die katalanische Soziolinguistik dazu?

Diglossie = eine Konfliktsituation. Folge kann entweder Substitution (mächtige Varietät siegt, einsprachige Situation ist das Ergebnis) oder Normalisierung (unterdrückte Sprache setzt sich durch Gesetze und politische Maßnahmen durch und wird standardisiert, Bsp.: Katalan) sein.

Katalonien wehrt sich gegen zunehmende Hispanisierung (Spanisches wurde als H-Varietät eingeführt, Katalanisches wurde verboten). Mittlerweile gibt es Katalan als H-Varietät, wird in der Schule verwendet, es ist keine funktionale Trennung mehr vorhanden; diese Entwicklung wurde von der katalan. Linguistik stark mitbetrieben)

Modell von SASSE (unterscheidet 3 Analyseebenen von Sprachen im Bezug auf deren Chance, in der nächsten Zeit zu überleben):

> außersprachliche Faktoren: soziopolitisch (Benachteiligung durch Imperialismus, Nationalismus, Kolonialismus, Unterdrückung, Territorium), sozioökonomisch / wirtschaftlich (aufstrebende Gebiete, Mehrheitsbevölkerung), soziokulturell / soziopsychologisch (Folklorisierung > Akkulturation, mangelndes Prestige, Sprachloyalität, negative Fremdeinstellung).

> Sprachgebrauch: Domänentheorie (Schule, elektronische Medien, Generationenübergang, Berufe, Siedlungsformen)

> Sprachsystem: strukturell (Interferenzen: Namensgebung, massenhafte Entlehnungen, fremder Akzent, Übernahme von morph. Affixen; Versiegen der Produktivität = ein Verfallskriterium; übergroße Variation > Gefahr v. Normenzerfall)


30 Was ist Bilingualismus und wieso kann man nicht von Bilingualismus als Norm sprechen?

Bilingualismus = lat. für Zweisprachigkeit, meint individuelle Mehrsprachigkeit. Die moderne Gesellschaft tendiert zu Monolingualismus, stabilen Bilingualismus gibt es nicht, ist immer eine Übergangsphase.


31 Wann wird Codeswitching eingesetzt, welche Arten und Funktionstypen davon gibt es?

Verwendung: a) wenn in beiden verwendeten Sprachen eine vergleichbare syntaktische Ordnungvorliegt, b) an Wortgrenzen. c) nach dem Matrix-Rahmen-Programm (Myer Scotten): im Rahmen der dominanten Sprache wird das Lexikon der nicht-dominanten Sprache eingebettet (una excuse statt an excuse).

Arten von CS: a) Domänen-/situations-/themenspezifisches CS, b) Turnspezifisches vs. Intraturnspezifisches CS.

Funktionstypen: a) diskursstrukturierend, b) sozialpsychologisch, c) psycholinguistisch.


32 Was sind die zwei Hypothesen bezüglich Codeswitching? Wie kann dies mit Sprachwandel und Sprachtod in Verbindung gesetzt werden?

CS (=Sprachwechsel) kann in 4 Phasen zu Sprachverlust (Aufgabe einer Sprache zugunsten einer anderen) führen: 1. stabil, 2. Überlappungen, 3. Einbettungssprache wird zur eingebetteten Sprache, 4. Kenntnis der Struktur (gramm. Regeln) geht verloren

Sprachkonfliktforschung: Kontaktsituationen sind Konfliktsituationen (aus soziologischer und politischer Sicht); Sprache = Identitätsmerkmal von ethnischen Gruppen > Sprache als Konflikt (Bsp.: Frankreich-Belgien, Spanien-Katalonien, Schottland eigene Nation: ja/nein?, ...)

4 Formen von Sprachtod = irreversibel: 1. Sudden death, 2. Radical death, 3. gradual death (Prototyp!), 4. bottom-to-top-death;

Sprachverfall (irreversibel vs. reversibel durch Maßnahmen / Sprachplanung)

tote Sprache: kontinuierlicher Übergang einer Varietät in eine andere (entspricht dem normalen Sprachwandel: Latein > Französisch, Italienisch)



Artikel:

  1. Fishman: Wie definiert Fishman Soziolinguistik, und womit beschäftigt sie sich? Interaktion zwischen Sprachgebrauch und sozialer Organisation; 
  2. Cameron: Was ist laut Cameron das aktuelle Problem der Soziolinguistik? Sprachmythen, fehlende Quantifizierung und Mikroanalyse;